1883 - Die schiffbrÃŒchige Stadt
abholen?"
„Morgen. - Und das beste wäre, du bringst ein bißchen Zeit mit. Dann kümmern wir uns gleich um dich.
Tust du es nicht, sage ich dir einen Kollaps innerhalb der nächsten Wochen voraus."
Loura Gaikunth drehte sich mit hölzernen Bewegungen um. „Ich habe zu arbeiten", sagte sie tonlos. „Aber ich hole Matoto ab. Morgen abend."
Als sie schon in der Tür stand, fragte sie noch einmal: „Wieviel Zeit brauchen wir morgen? Ich meine nicht den Elefanten. Ich meine, für mich."
„Eine Stunde reicht für den Anfang."
„Ich versuche es."
*
Am folgenden Morgen wagte sie lange nicht, die Augen zu öffnen. Als sie es doch tat, schaute sie durch das geöffnete Fenster auf die Faktorwand.
Nach terranischer Zeit war es der 5. Oktober 1289 NGZ, acht Uhr morgens. Loura hatte drei Stunden geschlafen. Während ihrer Abwesenheit war Mormon Gessip der verantwortliche Mann. Hoffentlich stellte Gessip keinen Unsinn an. Der Gedanke ließ sie nicht zur Ruhe kommen.
Loura registrierte, daß draußen immer noch das dumpfe, durch den Faktordampf gefilterte Licht der roten Sonne herrschte.
Von ihrem Ausflug wußte sie, daß sich Kalkutta-Nord auf einem rotierendem Riesenrad befand.
Abhängig von der Rotationsgeschwindigkeit mußte es also auch Tag und Nacht geben.
Mit der Rückkehr würde es vielleicht eine Weile dauern, der Gedanke kam ihr jetzt zum ersten Mal.
Vielleicht würden sie auch unter den fremden Sternen stranden.
Eine schiffbrüchige Stadt, dachte sie. Konnte es so etwas geben?
Das Universum hielt eine unerschöpfliche Zahl von Variationen bereit. Von den meisten hörten sie nur im Trivideo aber nun erlebten sie eine davon am eigenen Leib.
Als sie ins Büro kam, wartete Nort Dimo bereits in ihrem Sessel. Er stand sofort auf und machte für Loura Platz. Sie ließ sich ächzend ins Polster fallen.
„Hallo, Dimo ... Was machst du denn schon hier?"
„Ich hab’ hier geschlafen. Auf deinem Platz." Der arme Kerl sah zerknirscht aus, als hätte er etwas Verbotenes getan. „Weil ich ja nicht wußte, wann du wiederkommst, Loura, und wann du mich brauchst."
„Das hast du gut gemacht", lobte sie.
„Soll ich was erledigen?"
„Ja. Ich möchte, daß du Tyra Ndoram suchst und zu mir bringst. Sofern sie schon in der Bügermeisterei angekommen ist."
„Ich hab’ sie eben gesehen. Sie war gar nicht weg über Nacht."
„Na", meinte Loura Gaikunth ärgerlich, „dann war ich ja wohl die einzige, die geschlafen hat."
Dimo verschwand für ein paar Minuten.
Loura nutzte die Zeit, über das Terminal sämtliche Daten zu checken. Ihr syntronisches Netz lief stabil, trotz NATHANS Abwesenheit. Syntroniken waren extrem anpassungsfähige Computer, für Fälle wie diesen wie geschaffen. Der größte stationäre Rechner, im Keller der Bürgermeisterei, koordinierte die anfallenden Aufgaben ohne merkliches Problem.
Der Gleiterverkehr lief. Kommunikation und öffentliche Versorgung waren einwandfrei. Sie hatten sogar das öffentliche Transmitternetz zur Verfügung, ebenso die unterirdische Rohrbahn. Energie stand relativ unbegrenzt zur Verfügung, weil jeder Stadtteil über eigene Kleinstreaktoren verfügte. Nicht einmal zwanzig Prozent der maximalen Last wurden genutzt.
Loura versuchte jedoch, sich nichts vorzumachen. Je länger es dauerte, desto mehr Probleme würden zutage treten.
Sie würden vielleicht doch gezwungen sein, Nahrung und Wasser zu rationieren.
Ein anderer Gedanke ließ sie plötzlich zusammenzucken: Was war mit Atemluft?
Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, traten Dimo und Tyra Ndoram durch die Tür. Die wissenschaftliche Referentin sah schlecht aus. Man konnte ihr anmerken, daß sie überlastet war.
„Herein", sagte Loura knapp. Sie hob die Augenbrauen und fragte: „Irgendwelche neuen Erkenntnisse über Nacht?"
„Nichts", lautete die Antwort.
„Dann kommen wir gleich zur Sache. Tyra, ich mache mir gerade Sorgen um unsere Luftvorräte.
Innerhalb der Barriere leben rund 1,3 Millionen Menschen. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, aber irgendwann wird dieses Faktorelement zweifellos leer geatmet sein."
„Du meinst wohl, der Sauerstoffgehalt sinkt auf kritische Werte", verbesserte Tyra von oben herab. „Die Luftmenge bleibt in jedem Fall gleich. Nur die Zusammensetzung ändert sich durch Oxidationsprozesse."
Die Zweite Bürgermeisterin sagte gereizt: „Jaja, richtig. Ich will wissen, wann es kritisch wird. Dreißig mal zwanzig mal siebeneinhalb Kilometer, das hört
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