1883 - Die schiffbrÃŒchige Stadt
sie.
Durch menschenleere Straßen erreichte sie die Klinik. Vor dem Portal standen viele Gleiter. Sie nahm an, daß eine Menge Leute sich aufgeregt hatten und daß sie nun medizinische Betreuung brauchten.
Loura wandte sich an einen Spezialisten für Exo-Medizin. Ob es nun ein erdfremder Metabolismus war, so wie der eines Arkoniden oder eines Blues oder der Körper eines Elefanten, das war für solche Leute egal.
Sie fand einen hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann vor, mit einem breiten Gesicht und noch viel breiteren Schultern, der sie sehr beeindruckte.
Er ließ sich keine Sekunde lang anmerken, daß ein Mini-Elefant als Patient ihn befremdete. Vielleicht hatte er oft solche Fälle. Als erstes ließ der Mediker eine Trage kommen. Er half ihr, Matoto auf die Liegefläche zu betten, dann dirigierte er das schwerelose Ding vor sich her ins Behandlungszimmer.
Natürlich kannte er ihr Gesicht. Sie war die Zweite Bürgermeisterin, vielleicht hatte er sie sogar gewählt.
Loura hörte seinen Namen, aber sie konnte sich im Augenblick nichts merken, nicht einmal das.
Das Behandlungszimmer sah aus wie ein freundlicher Wohnraum, mit einem etwas ungewöhnlichen Tisch in der Mitte. Sämtliche medizinischen Geräten waren verborgen.
Der Arzt legte Matoto auf den Tisch. „Was fehlt denn deinem Elefanten?"
„Wir glauben, daß er Tabletten gefressen hat. Er hat sie in meinem Schreibtisch gefunden, als gerade keiner aufgepaßt hat."
„Was für Tabletten waren das?"
Loura schrieb den Namen des Präparats auf ein Stück Folie.
„Ah." Der Mediker schaute auf. Sein Blick blieb an Loura kleben. „Wenn der Kleine davon bewußtlos wird, hat er mindestens zwanzig Stück gefresssen."
Sie konnte seinen Blick nicht deuten. Loura wurde unsicher. „Dann wird’s wohl so sein! Was willst du damit sagen?"
„Dieses Medikament wird in so großer Menge gar nicht herausgegeben. Kein Mediker verordnet davon mehr als fünf Stück. Wo hat der Kleine also zwanzig her?"
„Aus einer Packung."
„Also fragen wir anders, Loura: Wo hast du zwanzig her?"
„Ich hab’ sie mir besorgt." Sie spürte immer noch seinen forschenden Blick, und als es ihr zu dumm wurde, erklärte sie: „Schon gut, ich habe meine Beziehungen spielen lassen. Zufrieden? Als ich mal Bauchschmerzen hatte, kriegte ich drei von diesen Tabletten hier. Die haben sofort geholfen. Seitdem nehme ich manchmal welche."
Der Mediker richtete sich seufzend auf.
Dann kam er um den Tisch herum, stellte sich vor Loura Gaikunth und streckte seine Fingerspitzen aus.
Es war nicht mal eine hastige Bewegung. Bevor sie aber protestieren konnte, hatte er die Finger schon in ihrem Gesicht.
Sie hielt instinktiv still. Es war ein beschämendes Gefühl, und sie konnte sich ihre plötzliche Unsicherheit nicht erklären.
„Deine Mundwinkel sind sehr tief eingegraben. Wir sehen das oft bei Menschen mit Magenproblemen.
Der Magen kann ein Spiegel der Seele sein, weißt du. Ich kann dir auch ohne Untersuchung sagen, daß du dich mit Streß zugrunde richtest. Hast du privaten Kummer, Loura?"
„Nein", behauptete sie verblüfft.
Daß sie sich oft allein fühlte, daß sie keinen Menschen neben sich akzeptieren konnte, verschwieg sie ihm. Es ging ihn nichts an. Sie kannte den Mann nicht einmal.
„Dann dürfte es an deinem Beruf liegen. Man müßte natürlich die Ursachen genauer erforschen, aber ich empfehle dir, dein Amt als Zweite Bürgermeisterin aufzugeben."
Loura starrte den Mann an, als habe er den Verstand verloren. „Was für eine Anmaßung!" regte sie sich auf. „Ich bin nicht der Patient. Ich bin wegen meines Elefanten hier!"
Sie zeigte aus dem Fenster, auf die graue Nebelwand. „Siehst du das da draußen? Das ist eine FaktordampfBarriere Wir alle sind in den Schwierigkeiten unseres Lebens. Aber nicht alle haben das begriffen.
Es gibt keinen Rücktritt! Wir müssen da jetzt durch und nicht erst, wenn ich gesund bin."
Der Mediker schaute sie unverwandt an. „Wie viele Tabletten nimmst du am Tag?"
„Drei."
„Nicht mehr?"
„Vielleicht auch fünf oder zehn, was weiß ich denn!"
Er sagte nüchtern: „Dieses Medikament macht süchtig. Du treibst einen Mißbrauch, der sich rächen wird."
Loura wollte etwas erwidern, irgend etwas, aber ihr fiel plötzlich nichts mehr ein.
„Du darfst keine Tablette mehr nehmen", fuhr er fort. „Keine einzige, hörst du? Sonst geht’s dir bald wie deinem Elefanten."
Loura schluckte und sah den reglosen Matoto an. „Wann kann ich ihn
Weitere Kostenlose Bücher