1892 - Als das Sternlicht erlosch
erheben.
Der Boden war mit kostbaren Teppichen dick ausgelegt. Die helle Decke war mit Malereien verziert.
Die Seelenhirten lebten nicht in Armut, aber auch nicht in luxuriösem Überfloß.
„Du also bist Siebenton", sagte Caryton, „von dem mein Freund und Berater Walyon nicht müde wird zu erzählen. Du maßt ein ganz besonderer Mönch sein, wenn Walyon dich derart preist. Vor allem besonders jung."
„Ich weiß, daß ich zu jung bin, Erleuchteter", sagte Siebenton ruhig und bescheiden. „Um so geehrter fühle ich mich durch die große Gunst, die du mir heute erweist."
Ersah sich hilfesuchend nach Walyon um. „Freund und Berater" hatte Caryton von ihm gesagt. Freund!
Siebenton hatte nie geahnt, daß Walyon so einflußreich wäre.
„Es ist wahr", sagte der Seelenhirte. „Ich leide an einer heimtückischen Krankheit, die den Körper von innen heraus zerstört. Ich habe nur noch Wochen zu leben. Sieh mich nicht so ungläubig an, der äußere Schein trügt. Und wie es von „Icher der Brauch ist, hat der Seelenhirte das Recht, diejenigen Priester vorzuschlagen, die er für geeignet hält, seine Nachfolge anzutreten. Es können nur zwei sein oder auch zehn. Die Hauptsache ist, daß das Gremium die Wahl zwischen verschiedenen Kandidaten hat. Eine Empfehlung darf ich nicht abgeben."
„Das Gremium", erläuterte der im Hintergrund bleibende Walyon, „find die rund zweihundert geistlichen Würdenträger, die sich für genau drei Tage von der Außenwelt in einen abgegrenzten Teil der Inversen Wache zurückziehen und dann ihre Entscheidung bekanntgeben. Vorher hat das Volk das Wort. Die Liste der potentiellen Nachfolger wird in der ganzen Galaxis bekanntgegeben. Drei Wochen bleibt jedem Bewohner von Shaogen-Himmelreich Zeit, sich zu Wort zu melden und seine Argumente für oder wider diesen und jenen Kandidaten vorzubringen. In dieser Zeit dürfen auch die Kandidaten für sich werben. Erst danach tagen die Würdenträger. Können sie sich nicht mit einer Mehrheit auf einen Kandidaten einigen, so gilt nach dem Senioritätsprinzip der ältere der Kandidaten mit den meisten Stimmen als gewählt."
„Lokhout!" entfuhr es Siebenton. „Er ist jetzt 277 Jahre alt. Sicher gibt es keinen älteren Würdenträger, der ..."
Er sah die plötzliche Strenge in Carytons Blick und hielt inne. Er entschuldigte sich für seine Vorlautheit. Caryton nickte und lächelte plötzlich ganz schwach. Es schien ihn Mühe zu kosten.
„Ich kenne eure gemeinsame Vergangenheit", sagte er. „Bist du sicher, daß deine Ressentiments gegen Lokhout nicht von daher stammen?"
„Ich Habe keine Ressentiments gegen ihn", versicherte Siebenton, „nur gegen die Ideale und Anschauungen, die er vertritt. Ich habe die Galaxis bereist, bereits als Frau und als junger Priester. Ich habe die Sorgen und Nöte der Mönche kennengelernt, die fern von Wolkenort leben und auf zwei Dinge warten und lauschen: auf das Shaogen-Sternlicht und auf die Stimme ihres Seelenhirten, der weit entfernt wohnt. Ich habe gesehen, was geschehen kann, wenn sie sich im Stich gelassen fühlen."
Er sah nicht Walyons warnende Gesten und fuhr aufgeregt fort: „Und was kann Lokhout vorweisen?
Natürlich sein Alter. Dieses kann Weisheit bringen, aber auch Schwäche. Aber wie lange ist er schon Priester?
Hat er in den letzten Jahren jemals Wolkenort verlassen? Kennt er die Probleme der Mönche und der anderen Völker, denen nur ihr Glaube helfen kann?"
Er atmete heftig aus. Jetzt erst begriff er, wie weit er sich vorgewagt hatte, und machte instinktiv einen Schritt vom Thronsessel zurück. Er murmelte eine Entschuldigung.
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Siebenton", sagte der Seelenhirte. „Jedes deiner Worte ist wahr. Der Shaogen-Kult ist in Gefahr, in sich selbst zu erstarren. Wir Seelenhirten haben uns zu weit von den Wurzeln entfernt, aber du siehst auch ein, daß wir nicht ständig auf Reisen sein können, um irgendwann jeden der vielen tausend bewohnten Planeten zu besuchen, ohne unsere wahren Aufgaben zu vernachlässigen. Ich sehe jetzt, daß Walyon mich gut beraten hat, Siebenton. Du wirst einer derjenigen sein, die ich für meine Nachfolge vorschlagen und deshalb jetzt offiziell in meinen Beraterstab aufnehmen werde, denn dies ist die Voraussetzung dafür. Und es tut mir jetzt leid, daß ich keine Empfehlung aussprechen darf. Doch wenn ich nun sterbe, dann werde ich es in dem Bewußtsein und mit dem Trost tun, die Zukunft unseres Kults gesehen zu haben.
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