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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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kommt jetzt?“
    „Ich sehe die schöne Inschrift ‚Muhabba‘ (Liebe). Die, welche hinter ihr schreiten, sind sicher für die Seligkeit bestimmt; denn du hast ja soeben Liebe gefordert. Ich unterscheide – – –“
    „Schweig! Schweig von ihnen!“ unterbrach ihn Ben Nur streng. „Die, welche jetzt an dir vorüberziehen, sind entweder Abgötter oder Götzendiener gewesen, eins von beiden, weiter nichts! Das sind die Väter, die Mütter, welche nur einen einzigen Gegenstand für ihre Liebe, ihren Sohn oder ihre Tochter, kannten. Das sind die Männer, welche ihre Frauen vergötterten, und die Frauen, welche ihre Männer anbeteten. Die Liebe, welche nur auf eine einzige Person gerichtet ist, ist keine Liebe, sondern das häßliche, abstoßende Narrbild derselben. Schau die Mütter, welche als Sklavinnen vor den Füßen ihrer Töchter knien, und die Gatten, welche sich von den heißgeliebten, angebeteten Füßen in den Staub treten lassen! Der nichtigste Wunsch der vergötterten Lippen setzt sie in Galopp, während sie zur Erfüllung göttlicher Gebote oder für das Wohl ihres Nächsten kaum einen langsamen Schritt übrig haben. Wie sie auf jedes Wörtchen lauschen und sich bei der geringsten Trennung sehnen! Wie sie arbeiten und sich sorgen, sich ganz hingeben, sich aufopfern, bis sie am Charakter vollständig zum Schatten geworden sind! Für den aber, dem sie alles, alles verdanken, was ihnen gegeben worden ist, und dem sie dafür gehören für Zeit und Ewigkeit, für den haben sie keine Handreichung! Und wenn er dann in seinem heiligen Zorn, um diesem Götzendienst ein Ende zu machen, den Gegenstand dieser Narretei aus dem Leben nimmt, welch ein Stöhnen und Jammern ist da zu hören und welche Verzweiflung, die sich selbst Vernichtung wünscht, zu sehen! Wer in dieser Weise einen Menschen höher setzt als Gott, der wird sich dort an der Waage und dann an der Brücke auch nur auf diesen Menschen, nicht aber auf Gott zu verlassen haben; das ist die unerschütterliche Gerechtigkeit, welche den Gegenstand der Sünde zum Mittel der Bestrafung macht! Nun schau auch zu den so heiß angebeteten Idolen. Sie wurden so lange verehrt und bedient, bis ihnen das als ganz selbstverständlich vorkam, und so ließen sie sich in dem Bewußtsein, ganz erstaunliche Vorzüge zu besitzen, weiter bedienen und weiter bewundern. So wurden sie zum Hochmut und zur Selbstüberhebung geführt. Da sie nichts zu tun hatten, als sich lieben und anbeten zu lassen, wurden sie körperlich und geistig träge, und waren je länger desto weniger imstande, ihre irdischen Pflichten zu erfüllen und sich gar noch mit Gedanken über das Jenseits zu befassen. Sie wurden geistig totgeliebt und geistig totgepflegt; ihre Kräfte schwanden immer mehr und mehr, bis von ihnen nichts übrig blieb als nur auch ein Schatten ihrer selbst, der aber immer noch angebetet sein wollte und jetzt in der stolzen Überzeugung hier vorüberschreitet, daß ihm ein Sitz ersten Ranges im Himmel sicher sei. Sie haben aber ihr Gutes schon auf Erden genossen, und Götzenbilder kennt das Jenseits nicht! Weiter!“
    Der Blinde fuhr fort:
    „Es kommt ein stolzer Zug daher, dem die Inschrift ‚Hanahhn!‘ (Wir sind es!) hoch und weithin sichtbar vorangetragen wird. Diese Leute gehen stolz, mit majestätischen Schritten und sieghaften Mienen. Über ihre Gesichter breitet sich das Bewußtsein der Würde und Erhabenheit. Auch sie scheinen verschiedenen Ständen anzugehören, und obwohl sie langsam schreiten, sehe ich doch, daß jeder von ihnen bemüht ist, den andern voranzukommen. Das müssen hohe Herren sein, die sicher nicht erwarten, zu leicht befunden zu werden.“
    „Ja, sie waren Herrscher auf Erden, Herrscher auf verschiedenen Gebieten, haben sich aber auf dem Wege zur Waage der Gerechtigkeit zusammenfinden müssen. Da sind Fürsten, welche über Länder und Völker regierten, aber nicht einmal sich selbst beherrschen konnten. Da sind allerlei Würdenträger, welche der ihnen von Gott anvertrauten Würde nicht würdig waren. Da sind hohe Gelehrte, Koryphäen der Wissenschaft, welche sich für Erb- und Gerichtsherren der Weisheit hielten und sich gegen die Einsicht sträubten, daß alles irdische Wissen und Erkennen Stückwerk ist und nur der Glaube zur Wahrheit und Vollkommenheit führt. Da sind die Paschas und Sultane des Mammons, welche von ihren protzenden Thronen aus die Unbemittelten knechteten und in Fesseln schlugen, ohne zu ahnen, daß sie selbst die Fesseln der

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