19 - Am Jenseits
Folgerichtigkeiten zeigt, so werden auch die Beziehungen der Seelen zueinander von Gesetzen regiert, von welchen es keine Abwege und gegen die es kein Widerstreben gibt. Schau nur hinein in deine Seele, lieber Leser! Beobachte sie und ihre Regungen mit nachdenkender Aufmerksamkeit! Du wirst bald wunderbare Entdeckungen machen und vor allen Dingen zu der Erkenntnis gelangen, daß dir diese deine eigene Seele bisher eine vollständig unbekannte Welt gewesen ist! Es ist mir ja ganz ebenso gegangen! Aber als ich erst einmal mit Ernst angefangen hatte, da wuchs mein Interesse für diese meine innere Welt von Tag zu Tag, und es taten sich mir Ausblicke auf, die mich zum Weiterforschen förmlich begeisterten. Es begann zunächst eine große, leider so unendlich schwierige Reinigung, daß ich gar wohl einsehe, mit ihr in diesem kurzen Erdenleben nicht fertig werden zu können; aber es wurde doch wenigstens soviel Erdenschmutz überwunden, daß mir jetzt, wo ich fast sechzig Jahre zähle, das Weiterlernen und Weiterüben als die schönste Aufgabe der mir beschiedenen, abendroten Tage erscheint. Wie herzlich, aber wie so von ganzem Herzen wünschte ich, daß jeder meiner Mitmenschen ein so beseligendes Abendrot haben möge!
Könntest du, meine Freundin oder mein Freund, deine Seele in die Hand nehmen und beobachten wie eine Uhr, welch ein wunderbares, wohlgeordnetes Ineinandergreifen sämtlicher Regungen würdest du da bemerken! Du würdest sehen, wie reingehalten sie werden muß, wieviel hinderlicher Erdenstaub stets zu entfernen ist. Du würdest erkennen, daß jedes einzelne ‚Tick und Tack‘ darauf berechnet ist, den Zeiger nach der mitternächtlichen, letzten Zwölf zu leiten, nach welcher dir die Eins des Jenseits schlägt. Das hängt alles, alles, so innig zusammen, das kommt wie ganz von selbst; da kannst du dir nicht eine einzige Sekunde ohne die vorhergehenden denken; da kann nicht eine einzige Minute als überflüssig weggelassen und zur zeitleeren Lücke werden. Genau so steht die leiseste Seelenvibration im Zusammenhang mit dem Ganzen, und ob dein Leben ein Streben nach dem Himmel oder ein Sträuben gegen den Himmel sei, es ist nicht das kleinste seelische Stäubchen in dir zu finden, welches unbeteiligt an diesem Streben oder Sträuben ist. Und wie in deinem Seelenmikrokosmos die treibenden Kräfte nur nach ganz bestimmten Regeln und Geboten tätig sind, so herrschen auch im Seelenmakrokosmos, also auf dem Gebiete der Zusammen-, der Auseinanderwirkung menschlicher Seelen, Vorschriften und Gesetze, welche selbst die geringste Ordnungslosigkeit, also auch den Zufall, vollständig ausschließen. Es können zwei Seelen nicht, wenn auch noch so kurz, aneinander vorüberstreifen, ohne aufeinander zu wirken. Und wenn eine Seele die deinige nur einen Augenblick berührt, so wird diese Berührung einen Punkt in deinem innern Leben schaffen, der sich zur für dich vielleicht nicht bemerkbaren Linie weiterbildet. So entstehen Beziehungen, für dich einstweilen geheimnisvolle Fäden, welche dich mit andern unsichtbar aber doch für immer vereinen und als einen nicht zu missenden, sondern notwendigen Teil des Ganzen mit der großen, unendlichen Welt der Seelen verbinden. Du gehörst notwendig zu ihr, wie die einzelne Minute zur Stunde, zum Tag, zum Jahr, zur Ewigkeit; sie würde ohne dich nicht vollständig sein. Und wie sie auf dich und deinen Einfluß, mag er auch noch so winzig und unbedeutend sein, nicht verzichten kann, so stehst auch du und so steht auch jede andere Seele in fortwährender, unabweisbarer Beziehung zu ihr und ihren Gesetzen, welche weit, weit entfernt liegende Ursachen an dir oder durch dich zur Tätigkeit bringen, so daß scheinbar plötzliche Handlungen entstehen oder vermeintlich zusammenhanglose Ereignisse eintreten, welche man sich nicht erklären kann. Dieses Herüberwirken der Seelenwelt in die Welt der Seele, diese Folgen, deren Gründe und diese Schlüsse, deren Voraussetzungen im Verborgenen liegen, sind nicht etwa Unbegreiflichkeiten, sondern ganz das gerade Gegenteil, nämlich Beweise eines von der göttlichen Weisheit vorgeschriebenen und unendlich logischen Zusammenhanges der unsichtbaren mit der sichtbaren Welt. Wer diese unsichtbare freilich leugnet, weil er unter dem Pantoffel seines gelehrten und geliebten Materialismus steht oder nicht gewohnt ist, nachzudenken, der weiß sich beim Eintritt solcher, für ihn zusammenhangloser Ereignisse nicht anders zu helfen, als daß er sie auf die
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