19 - Am Jenseits
ich dabei laut und bitterlich weinte. Ich wollte nicht; ich wußte nur zu gut, welch eine Schande mir dieser Weinkrampf machte; aber es war eben ein Krampf, der sich nicht unterdrücken ließ. Es war mir das noch nie passiert, doch da die beispiellose Aufregung, welche sich meiner bemächtigt hatte, nicht auf anderem Wege hatte explodieren können, tat sie es eben in diesem Schluchzen, welches bei denen, die es hörten, ein schallendes Gelächter hervorrief.
Auf den Hohn, mit dem ich nun beworfen und überschüttet wurde, achtete ich gar nicht. Sie mußten ja von selbst aufhören, und das taten sie sehr bald, weil der Ghani die Aufmerksamkeit, der andern von mir auf sich ablenkte. Er kniete nämlich bei dem Basch Nazyr nieder und begann, dessen Taschen zu durchsuchen.
„Halt! Was fällt dir ein!“ störte ihn der Scheik.
„Nichts fällt mir ein, als nur das, was ich darf!“ antwortete der andere. „Soll das, was er bei sich hat, etwa mit ihm begraben werden?“
„Nein; aber dir gehört es nicht!“
„Dieser Schiit ist mein Eigentum! Mir ist er nachgeritten, mich hat er beschuldigt und beleidigt; von meiner Kugel ist er gefallen. Sein Eigentum, sein ganzes, ganzes Eigentum gehört also nur mir!“
Ich sah da einen Streit kommen, der sich vielleicht in die Länge ziehen und mir dadurch Rettung bringen konnte. Dieser Gedanke wirkte wohltätig auf mich; ich wurde innerlich wieder ruhig.
„Sollen wir dich vielleicht ebenso auslachen, wie wir jetzt über diesen weinenden Hund gelacht haben?“ fragte Tawil Ben Schahid. „Wer hat den Angriff hier geleitet, wer die Soldaten besiegt, du oder ich? Wer ist also Besitzer alles dessen, was sich hier befindet?“
Er stand hochaufgerichtet und drohend vor dem Ghani, und seine Beni Khalid näherten sich, ihre Gewehre in den Händen, den Mekkanern in einer Weise, welche zwar diesen nicht, aber mir auffiel. Das sah ja ganz so aus, als ob jetzt etwas geschehen solle, was der Scheik vorher mit seinen Leuten heimlich verabredet hatte! In dieser Vermutung wurde ich durch die Beobachtung bestärkt, daß sie ihre Augen nur auf ihn gerichtet hielten, als ob sie auf ein mit ihm vereinbartes Zeichen warteten.
„Etwa du?“ rief der Liebling des Großscherifs. „Warum hast du den Kanz el A'da dort neben dein Kamel gelegt? Willst du mich um ihn betrügen? Ich habe schon gestern während des ganzen Tages gemerkt, daß du etwas gegen uns im Schilde führst. Ist's ein Betrug, eine Verräterei, so denke nicht, daß ich sie dulden werde! Meine Macht reicht weiter als die deinige!“
Seine Augen funkelten; der Scheik antwortete um so ruhiger und kälter:
„Wie weit deine Macht und dagegen die meinige reicht, wirst du sofort erfahren! – – – Jetzt!“
Dieses Wort, welches den erwarteten Befehl enthielt, galt seinen Leuten. Wie von nur einer einzigen Hand gehoben, flogen die Kolben ihrer Gewehre empor und krachten auf die Köpfe der Mekkaner nieder, die auf eine solche Überrumpelung nicht vorbereitet waren und, vor Schreck sich gar nicht wehrend, durch weitere Hiebe niedergeschlagen wurden. Daß diese Tat vorher besprochen worden war, bestätigte sich nun gleich auch dadurch, daß die zum Binden der Mekkaner nötigen Stricke sofort bei der Hand waren. Es war für mich ein unendlich häßlicher, widerlicher Vorgang, der mich empören mußte, obwohl die so verräterisch Behandelten meine Feinde waren. Nur für wenige Augenblicke bestürzt oder betäubt gewesen, wanden und krümmten sie sich nun schreiend, fluchend und heulend hin und her. Der Scheik stand eine ganze Weile stumm dabei, um ihre erste Wut vorübergehen zu lassen; aber als ihm das zu lange dauerte, zog er seine Pistole und gab sein Wort als Schwur, daß er jeden, der nicht sofort ruhig sei, erschießen werde. Das wirkte augenblicklich, denn sie wußten ja, wie stolz er darauf war, daß er sein Wort oder gar seinen Schwur niemals breche.
Hatte ich mich vorhin in einer beinahe beispiellosen Aufregung befunden, so fühlte ich mich jetzt von einer fast ebenso großen Spannung ergriffen. Indem die Ereignisse der letzten Tage an mir vorüberflogen, wurde es für mich gewiß, daß der Tod der Mekkaner für den Scheik eine beschlossene Sache sei. Er wollte den Kanz el A'da haben und mußte sich auch aller Zeugen dessen, was geschehen war, entledigen. Aber seine Leute! Wie stand es da mit diesen? Durften sie alles wissen?
Es zeigte sich, daß dies eine Frage war, die er schon vorher im stillen beantwortet hatte. Er
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