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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sein Herz gegraben. Dann schenkte er es mir, damit auch ich erleuchtet werde. Du hast mir verziehen, was ich über die Spaltung eures Glaubens sagte; nur die Bekenner sind uneinig; die Lehre selbst aber kennt und will diese Teilung nicht. Sie ist auch mir in das Herz gedrungen, obgleich ich zu dir kein Wort davon gesprochen habe, denn du solltest ja nicht wissen, daß ich das, was ich jetzt denke und fühle, aus deinem Geschenk gezogen habe. Ich las täglich darin, auch heut früh wieder, als ihr es nicht merktet. Da schlug ich die Stelle nach, welche lautet: ‚Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; tut Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, welche euch verfolgen und verleumden, auf daß ihr Kinder seid eures Vaters, der im Himmel ist, der seine Sonne aufgehen läßt über die Guten und die Bösen und läßt regnen über die Gerechten und die Ungerechten!‘ Es lebte jedes Wort in mir, welches wir von Ben Nur gehört hatten, als der Quell und die Summe seiner ganzen Rede nur das eine, nur die Liebe war. Ich dachte an unser Verhalten gegen diese unsere Feinde hier, denen wir für den Haß die Liebe gaben. Es schien mir der Güte allzu viel gewesen zu sein, und darum schlug ich diese Stelle auf, um meiner Schwachheit Kraft zu geben. Nun scheint es aber doch, als hätten wir besser gehandelt, wenn wir schwach geblieben wären, denn wir werden, du und ich, unsern Gehorsam gegen die Liebe mit dem Leben bezahlen!“
    „Nein, das glaube ich nicht!“ antwortete ich, tief ergriffen von diesem so unerwarteten Glaubensbekenntnis des dem Tode Geweihten. „Das Leben hat dieselbe Ewigkeit wie die Liebe. Wir sterben nicht, vielleicht nicht einmal leiblich. Der, welcher, als du heut die Stelle lasest, von dir forderte, deine Feinde zu lieben, hat wohl die Macht, dich grad durch diese Liebe zu erretten! Sein Evangelium ist ein fester Schutz und Schirm im Leben und auch in der größten Todesgefahr. Wenn du auf ihn vertraust, ist seine Hilfe vielleicht näher, als du denkst!“
    „So wollen wir uns ja beeilen, dieser Hilfe schnell zuvorzukommen!“ lachte der Scheik. „Das Loch ist fertig.“
    „Ja, es ist fertig und meine Kugel ist bereit!“ fügte El Ghani entschlossen hinzu. „Wir müssen fort. Nun wird nicht länger gezaudert!“
    „Stelle dich hierher!“
    Bei diesem an den Perser gerichteten Befehle deutete der Scheik neben das Grab; Khutab Agha gehorchte. Als er dort stand, rief er mir zu:
    „Effendi, ich sage kein Lebewohl zu dir, denn wir trennen uns doch nur für einige Augenblicke. Du kannst deine Hände nicht falten, weil du auch gefesselt bist; aber sprich in deiner Seele ein Gebet für mich, daß ich an El Mizan, der Waage der Gerechtigkeit, die Hand des Engels fassen darf, der mich hinüberführt!“
    Bei dieser Bitte kam ein Grimm über mich, den ich, wenigstens für mich und mein ganzes Leben, wohl beispiellos nennen kann. Es erhob sich eine, fast möchte ich sagen, bisher unbekannte, dämonische Kraft in mir, welche, keinen Widerstand achtend, zum rücksichtslosen Ausbruch trieb. Da, vor mir stand der Freund, mitten unter den Mördern, in einer roten Lache des vergossenen Soldatenblutes! Mußte es geschehen? Durfte es geschehen? Konnte ich denn nicht helfen? War ich armseliger Kerl denn wirklich zu schwach für meine Fesseln?
    „Du sollst noch nicht nach dieser Hand fassen!“ schrie ich auf. „Ich befreie mich; ich komme, ich komme! Steh nur nicht still, sondern wehre dich! Du hast ja die Füße frei! Stoß zu; tritt sie nieder, immer nieder!“
    Ich zog und drehte an meinen Fesseln, obgleich ich fühlte, daß sie mir in das Fleisch schnitten; ich bäumte und schnellte mich auf, stürzte aber sofort wieder hin, doch nicht, ohne daß der um die Fußgelenke geschlungene Strick zerriß. Er hatte der Kraft, mehr derjenigen des Falles als meiner eigenen, doch nicht widerstehen können!
    „Drauf! Drauf auf ihn! Der Hund macht sich wirklich frei!“ rief der Scheik.
    Er, die Beni Khalid und die drei Mekkaner warfen sich auf mich. Ich stieß mit den noch gefesselten Händen und den frei gewordenen Füßen nach ihnen, schnellte mich hin und her – – –! Es war ein zu ungleicher Kampf, und da – – – da fiel der Pistolenschuß des Ghani; ich sah aus der Umschlingung, in der ich mich befand, heraus, daß der Perser mit ausgebreiteten Armen hintenüberstürzte; da war mein Widerstand dahin; ich streckte mich aus und ließ mir auch ruhig die Füße wieder zusammenbinden und gestehe, daß

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