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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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eines lauten Ausrufs des Staunens nicht erwehren. Es gab keine Wunde; seine Brust war unverletzt. Ich sah nur eine dunkelgefärbte, unregelmäßig verlaufende Stelle, welche auf einen vorhanden gewesenen Druck schließen ließ. Welch ein Wunder! Es war gar nicht anders möglich, als daß sich auf der Brust ein Gegenstand befunden hatte, von welchem die Kugel aufgehalten worden war! Ich griff an die geöffnete Nimtaneh und fühlte in der Tasche einen viereckigen Gegenstand. Ich nahm ihn heraus.
    „Was suchst du da?“ fragte er verwundert. „Das ist mein Beschaïr el arba (Die vier Evangelien), welches stets in der Satteltasche steckte. Heute aber, als ich die Stelle von der Liebe zu den Feinden gelesen hatte, tat ich es in die Brusttasche der Nimtaneh. Warum ich das tat, das weiß ich nicht; es fiel mir grad so ein.“
    „Aber ich weiß es! Dein Schutzengel war es, der dir diesen Gedanken eingegeben hat. Das Buch hat dir das Leben gerettet!“
    „Wie? – Das Leben gerettet?“
    „Ja; steh auf und betrachte es! Du brauchst nicht liegen zu bleiben, denn du bist gar nicht verwundet. Der Schmerz, den du auf der Brust fühlst, ist alles, was der Schuß dir hinterlassen hat.“
    Das gab nun eine allgemeine Verwunderung und eine noch viel, viel größere Freude. Dschafar Mirza, dem das kleine Evangelienbuch von mir geschenkt worden war, hatte es in Metall binden und ein silbernes Lesezeichen dazu fertigen lassen. Es hatte verkehrt, ich meine mit der Anfangsseite nach innen, nach dem Körper zu, in der Tasche des Basch Nazyr gesteckt und war von dem Geschosse also auf die hintere Platte des Einbandes getroffen worden. Da diese Platte dünn war, hatte sie der Kugel nicht genug Widerstand geleistet; diese war hindurchgeschlagen und auch so weit durch die Blätter gegangen, bis das Lesezeichen sie aufgehalten hatte. Dort steckte sie noch jetzt, nicht breitgeschlagen, sondern ein wenig abgeplattet. Der Schuß hatte also keine große Kraft gehabt. Es war ja, wie sich dann herausstellte, eine Pistole alter Konstruktion, und wahrscheinlich hatte auch das Pulver nicht viel getaugt. So war der durch das Buch verminderte Prall nicht einmal stark genug gewesen, eine Rippe zu verletzen. Schmerzhaft freilich war die Quetschung; der Perser laborierte längere Zeit daran.
    Das Buch ging natürlich aus einer Hand in die andere, denn jeder wollte es nicht nur sehen, sondern auch genau betrachten. Als dies geschehen war, ließ ich es mir wieder geben und sah nach der Seite, in welcher das Zeichen gesteckt hatte. Welch eine Fügung! Ja, eine Fügung war es, denn Zufall gibt es nicht für mich! Die Kugel war fast durch das ganze Buch gedrungen, denn das Lesezeichen hatte fast ganz vorn, nämlich in der Bergpredigt, im fünften Kapitel des Matthäus, gesteckt, wo durch den verbogenen Rand des Zeichens ein kleiner Einschnitt entstanden war, welcher die letzte im Buche sichtbare Wirkung des Schusses bildete. Und wo befand sich diese Stelle? Ich hielt sie dem Perser hin und bat ihn:
    „Lies!“
    „Warum?“ fragte er.
    „Das nachher! Jetzt aber lies!“
    „Es ist dasselbe, was ich heute früh gelesen habe: ‚Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; tut Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, welche euch verfolgen und verleumden, auf daß ihr Kinder seid eures Vaters, der im Himmel ist, der seine Sonne aufgehen läßt über die Guten und die Bösen und läßt regnen über die Gerechten und die Ungerechten!‘ Hierher habe ich das Zeichen gelegt.“
    „Und was siehst du hier, grad neben diesen beiden Versen?“
    „Ein kleines Loch, wahrscheinlich von dem verbogenen Zeichen!“
    „Ja, aber für mich ist es noch mehr, und auch für dich soll und muß es noch mehr sein!“
    „Was?“
    „Du hast mir gesagt, dir sei heut früh der Gedanke gekommen, daß wir viel zu gütig gegen unsere Feinde gewesen seien; um dieser deiner Schwachheit Kraft zu verleihen, habest du hier diese Stelle aufgeschlagen und gelesen. Das ist doch so?“
    „Ja, so ist es.“
    „Nun, hier steht der Befehl: Liebet eure Feinde! Vorhin erzähltest du, der Engel wünsche, daß dein ganzes noch folgendes Leben so sei wie der letzte hier vergangene Tag. Und hat er nicht auch ausdrücklich gesagt, daß es die Liebe sei, welche dich beschützt habe?“
    „Ja; das war eines seiner Abschiedsworte!“
    „Nun, der Drang nach dem Gebot der Feindesliebe gab dir dieses Buch in die Hand. Aus Gehorsam für dieses Gebot schlugst du diese Stelle auf und legtest das

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