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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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erst von Ben Nur und nun von dem Perser gehört hatten, kam mir denn doch nicht wie das ausschließliche Produkt eines kranken Gehirns oder wie die innere Folge eines äußerlichen Drucks auf die Herzgegend vor. Der Gelehrte wird zwar da gleich von Krankheit sprechen. Ja, krank war der Münedschi; das ist nicht zu leugnen, und den Basch Nazyr hatte gar eine Kugel hingestreckt: aber der letztere war nach seinem Erwachen aus der Ohnmacht geistig völlig gesund und klar, und was den ersteren betrifft, so gibt es mehr als genug Gelehrte, sogar echte, richtige Zunftgelehrte, welche behaupten, es sei nicht durchgängig wahr, daß eine kräftige Seele nur in einem kräftigen Körper wohnen kann, sondern es habe sich umgekehrt sehr häufig erwiesen, daß die Seele erst und grad dann ihre Kräfte und Tätigkeiten entfalten könne, wenn die körperlichen Banden, in denen sie gefesselt ist, schwach und darum weniger hinderlich geworden sind.
    Was unsere Gefangenen betrifft, so hatten auch sie alles gesehen und alles gehört. Das Erwachen des Persers hatte bei ihnen gewiß dasselbe Erstaunen hervorgebracht wie bei uns. Höchst wahrscheinlich freuten sie sich nun desselben, denn sie glaubten wohl, der Umstand, daß die Kugel unschädlich gewesen sei, müsse uns zur Milde stimmen. Gesagt aber hatte keiner von ihnen etwas, kein einziges Wort. Der Münedschi saß mit geschlossenen Augen bei ihnen; er rührte sich nicht, und wenn er ja einmal eine Bewegung machte, so war es diejenige des Rauchens, obgleich er seine Pfeife nicht in den Händen hatte. Was mit ihm geschehen werde, das hing ganz von dem Schicksal seiner mekkanischen Gefährten ab.
    Dem Perser konnte ich in unserer gegenwärtigen Lage nur zu einer kalten Kompresse raten, welche von Zeit zu Zeit erneuert wurde. Er war schon sonst ein ernst angelegter Mann; jetzt nun schien sich dieser Ernst verdoppelt zu haben, und ich will gleich bei dieser Gelegenheit bemerken, daß während unsers ganzen späteren Beisammenseins nur sehr selten ein Lächeln auf seine Lippen kam. Die Wirkung der ‚Waage der Gerechtigkeit‘, welche er, sooft er von ihr sprach, eine entsetzliche nannte, war keine vorübergehende bei ihm.
    An der Beratung über die Strafe, welche die Schuldigen treffen sollte, hatten folgende Personen teilzunehmen: Halef, Kara, der Perser, Omar Ben Sadek und ich. Es galt vor allen Dingen, festzustellen, wer sich an dem Kampf gegen die Soldaten beteiligt hatte. Khutab Agha behauptete, gesehen zu haben, daß nicht bloß die Beni Khalid, sondern auch die Mekkaner geschossen hätten. Um sich Gewißheit zu verschaffen, ging Halef hin zu ihnen und fragte den Ghani:
    „Hast du auf die Soldaten geschossen?“
    „Nein“, antwortete er.
    „Dein Sohn?“
    „Nein.“
    „Einer deiner andern Gefährten?“
    „Auch nicht. Warum hätten wir uns an dem Kampf beteiligen sollen? Es waren ja genug Beni Khalid da!“
    „Glaubt ihm nicht!“ rief da der Scheik dazwischen. „Er hat gar wohl geschossen, und zwar mehrere Male!“
    „So!“ meinte Halef. „Sein Sohn etwa auch?“
    „Ja.“
    „Und die andern?“
    „Diese ebenso! Sie haben alle geschossen, alle. Nun aber sind sie so feig, es zu leugnen.“
    „Und du sagst diese dir vom Teufel eingegebene Lüge, um nicht der einzige zu sein, den die Strafe trifft. Du willst uns mit dir ins Verderben ziehen!“ rief der Ghani.
    Der Scheik antwortete ihm wieder, und so entspann sich ein Hin und Her von Schimpfworten, dem ich dadurch ein Ende machte, daß ich ihnen befahl:
    „Seid still! Ich werde gleich sehen, wer die Wahrheit sagt!“
    Ich untersuchte ihre Flinten. Sie waren alle geladen, aber auch ebenso alle vor kurzem abgeschossen worden. Um aber doch ganz sicher zu gehen, richtete ich die Frage an den Ghani:
    „Eure Flinten sind noch geladen; das spricht für euch, denn der Kampf ist sehr kurz gewesen, und wenn ihr euch an ihm beteiligt hättet, so wären die Läufe leer. Ist es so?“
    „Ja, ja, so ist es. Du hast das richtige getroffen, Effendi“, antwortete er.
    „Was hättet ihr auch jetzt oder in den letzten Tagen zu schießen gehabt! Ich wüßte nichts.“
    Er ließ sich wirklich durch den beistimmenden Ton, in welchem ich dies sagte, irre machen und antwortete:
    „Nichts, gar nichts, Effendi! Wir haben weder gejagt, noch sonst eine Gelegenheit zum Schießen gehabt.“
    „Wirklich nicht?“
    „Nein.“
    „Auch nicht auf eurem gestrigen Wege, vom Brunnen weg nach Südwest und dann hierher?“
    „Nein! Du siehst also,

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