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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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daß das Urteil sofort zu vollstrecken ist, denn wir haben keine Zeit zum langen, nutzlosen Verweilen hier. Jetzt bist noch du als der letzte übrig, Effendi. Es sind zwei Stimmen für und zwei Stimmen gegen den Tod. Bei dir liegt also die Entscheidung. Darf ich vorher noch ein Wort sagen?“
    „Ja, doch kurz!“
    „Ich sehe nämlich ein, daß wir uns in Gefahr befinden, Taten, welche gradezu zum Himmel schreien, unbestraft zu lassen. Das hat Ben Nur nicht gesagt und auch nicht gewollt! Er hat von Richtern gesprochen, welche selbst in dem ärgsten Verbrecher noch den Menschen suchten, um ihrem Urteil Milde verleihen zu dürfen; aber daß ein zwanzigfacher Mord keine Strafe finden soll, daß wir diese Menschen nach all den schweren Plänen und Anschlägen, die sie gegen uns hegten und nur deshalb nicht zur Vollendung bringen konnten, weil wir klüger, erfahrener und vorsichtiger sind als sie, freizulassen haben, das will selbst El Mizan nicht, die Waage der Gerechtigkeit. Was wird geschehen, wenn wir ihnen nicht die verdienten Kugeln geben? Sie reiten fort und lauern uns wieder auf. Und können sie uns nichts anhaben, so leben sie in ihrer Weise weiter, und alle schlechten Taten, welche sie dann begehen, haben wir zu verantworten und zu tragen, wenn wir dereinst durch die Pforte des Todes gehen. Wenn ich mir Mühe gebe, ein guter Mensch zu sein, so will ich mich ja hüten, nicht etwa durch meine eigenen, sondern durch die Taten anderer doch noch hinabgerissen zu werden in den Abgrund des Verderbens! Das habe ich geglaubt, noch sagen zu müssen, und das gebe ich besonders dir zu bedenken, Effendi. Überlege es dir wohl, ehe du das letzte, entscheidende Wort auf die Lippen nimmst!“
    Der Hadschi hatte in seinem Leben wohl viel Überflüssiges gesprochen; das jetzt aber war, wie mir schien, ein Wort zur rechten Zeit! Ich gestehe, daß auch ich beabsichtigt hatte, Gnade walten zu lassen, nicht etwa aus falscher Liebesduselei oder um meinen Standpunkt als Christ besonders hervortreten zulassen, sondern aus dem Grunde, welcher für mich in dem Namen lag: Ben Nur. Ich sage aufrichtig, daß ich noch unter dem Eindruck seiner Reden stand, und grad hier, nicht fern dem Ort, an welchem er gesprochen hatte, widerstrebte es mir, das Blut von sechs Menschen zu vergießen, welche, mochten sie auch noch so schlecht gehandelt haben, doch die Entschuldigung für sich hatten, Angehörige einer Bevölkerung zu sein, welche den Raub als eine Art ritterliches Handwerk betrachtet. Aber die ernste und sehr begründete Vorstellung Halefs war zu beherzigen. Ich überlegte. Leider sollte nur eine Strafe geltend sein, die Todesstrafe. Wäre diese Bedingung nicht gemacht worden, so hätte sich wohl ein Weg oder ein Mittel finden lassen, die Sühne ohne Blutvergießen mit der Schuld in das möglichste Gleichgewicht zu bringen. Die Hauptschuldigen waren unbedingt der Scheik und der Ghani; wenn diese – – – ja, das war es! Auf diese Weise konnte ich hier der Strenge und dort der Milde gerecht werden: diese beiden sollten bestraft, die andern aber begnadigt werden! Als Halef, dem mein Nachsinnen zu lange dauerte, mit einem: „Nun, Effendi?“ drängte, beschloß ich, demgemäß zu sprechen.
    Ich achtete dabei kaum darauf, daß der alte Münedschi aufgestanden war und sein Gesicht, doch mit geschlossenen Augen, nach uns gerichtet hatte.
    „Mein Entschluß ist folgender“, sagte ich: „der Scheik der Beni Khalid und Abadilah el Waraka, den man El Ghani nennt, sollen miteinander – – –“
    „El Aschdar – – –! El Aschdar – – –! El Aschdar – – –!“ schrie da, mich unterbrechend, der Münedschi mit aller Kraft seiner Stimme herüber. Trotz der hohen Tageshitze überlief es mich eiskalt! Niemand sah auf mich; aller Augen waren auf den Blinden gerichtet, welcher mit hocherhobenen Händen dastand, als ob er uns vor einer großen Gefahr zu warnen habe. Halef, Kara, Hanneh und der Perser kannten die Bedeutung dieses Wortes, denn Halef war neugierig gewesen und mit seinen Fragen so lange in mich gedrungen, bis ich ihm gesagt und erzählt hatte, warum ich kurz vor dem Zweikampf von dem Münedschi fortgeführt und was mir da gesagt worden war.
    „El Aschdar! Der Drache!“ sagte Halef, indem er mich ganz betroffen anschaute. „Er hat es dreimal gesagt; hörst du, Effendi, dreimal! Weißt du noch, was das zu bedeuten hat?“
    „Jawohl, weiß ich es“, antwortete ich.
    „Wenn dir der Drache droht, will Ben Nur

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