19 - Am Jenseits
das. Es war keiner unter ihnen, der durch ein Wort oder auch nur durch irgend ein Zeichen zu verstehen gegeben hätte, daß er mit diesem so unerwarteten Ausgang der Beratung nicht einverstanden sei. Erstens verbot ihnen das die Achtung, die sie uns ja nie versagten, und zweitens standen sie unter dem Einfluß der Rede, welche der Münedschi gehalten hatte. Er galt bei ihnen für das, was auch sein Name bedeutete, für einen Wahrsager, und die Drohung mit der schon erhobenen Faust hatte einen ganz besonderen Eindruck auf sie gemacht.
Unsere Herren Verbrecher aber hatten von unserem Entschluß nichts gehört. Als sie sahen, daß wir aufstanden, ruhten ihre Blicke mit ängstlicher Erwartung auf uns. Halef ließ es sich natürlich nicht nehmen, ihnen die betreffende Mitteilung selbst zu machen. Er trat zunächst vor den Ghani hin, nahm seine allerfreundlichste Miene an und fragte ihn:
„Mein heißgeliebter Milch- und Waffenbruder, was denkst du wohl, was über dich, den Liebling des Großscherifs, beschlossen worden ist?“
Der Gefragte sah ihn forschend an. Er wußte nicht, was er aus dieser plötzlichen und so strahlend freundlichen Brüderschaft zu machen hatte. Wahrscheinlich war sie Hohn, und darum zog er vor, keine Antwort zu geben. Halef fuhr fort:
„Warum willst du mich denn nicht mit dem ersehnten Ton deiner Stimme beglücken? Ich schmachte nach ihm. Also sei so gut und sprich!“
„Spotte nicht!“ würgte der Mekkaner doch hervor.
„Spotten? Ich deiner? Was denkst du von mir! Ich kenne jedes einzelne Gesetz der Höflichkeit und trachte stets mit Eifer danach, sie zu erfüllen. Du bist als Schech el Harah der berühmte Gebieter eines ganzen Stadtviertels von Mekka, und so weiß ich, was ich dir schuldig bin. Dein Fuß wandelt täglich in dem größten Heiligtume Mohammeds, des Propheten, und die Blicke von tausend frommen Pilgern sehen auf deine erhabene Gestalt, wenn sie über den Suq el Lehl (‚Nachtmarkt‘ in Mekka) oder durch den Schi'b el Maulid (Straße mit dem Geburtshaus Mohammeds) spaziert. Genauso bin auch ich erfüllt von Ehrfurcht und Bewunderung für dich, das unerreichbare Vorbild aller derer, welche das Glück haben, dich in den Strahlen deiner unzählbaren Tugenden kennenzulernen. Und da meinst du, daß ich deiner spotte? Ich bin im Gegenteil ganz von Seligkeit erfüllt, dir mitteilen zu können, daß du dich über das Ergebnis unserer Beratung freuen darfst.“
Das Gesicht des Mekkaners wurde – es gibt keinen andern Ausdruck dafür, und ich muß es also sagen – immer dümmer.
„Freuen? – Wieso?“ Fragte er.
„Wir haben alles, was für dich und was gegen dich sprach, sehr genau miteinander verglichen und wohl erwogen, und sind zu dem Ergebnisse gelangt, daß du unschuldig bist.“
„Ich?!“ rief der Mekkaner.
„Ja, du!“
„Unschuldig?!“
„Gewiß! Vollständig unschuldig!“
„Hadschi Halef, das ist Schlechtigkeit von dir, die allergrößte Schlechtigkeit, denn was du sagst, das ist ja wirklich nichts als Spott!“
„Mein Freund, wie wenig kennst du mich! Es tut meinem Herzen bitter weh, daß ich grad von dir so falsch beurteilt werde!“
„Aber un – unschuldig?!“
„So unschuldig, wie der Frosch daran unschuldig ist, daß er im Wasser naß wird. Du bist rein, unendlich rein von allen deinen Fehlern!“
Der Ghani stieß, ohne auf die Doppelzüngigkeit dieser letzten Worte zu achten, sondern nur an das, was er getan hatte, denkend, den Einwand hervor:
„Ich habe aber doch auf den Perser geschossen!“
„Ja, das hast du allerdings. Nun sag, in welcher Absicht du das tatest!“
„Ich wollte ihn töten!“
„Schön! Aber ist er tot?“
„Nein; er lebt!“
„Bist du daran schuld, daß er lebt?“
„Nein!“
„So liegt die Sache doch so klar, wie sie klarer gar nicht liegen kann! Sei so herablassend, mir noch zu sagen: Bist du schuld an seinem Tod?“
„Nein! Er ist ja gar nicht tot!“
„Nun so denke doch nach! Du bist nicht schuld an seinem Tod, und du bist nicht schuld daran, daß er noch lebt, also bist du nicht nur überhaupt unschuldig, sondern sogar doppelt unschuldig!“
Die Verblüfftheit des Ghani hatte jetzt ihren höchsten Grad erreicht. Er wußte nicht, was er sagen könne, ohne sich lächerlich zu machen, und zog es darum vor, zu schweigen und zu warten.
Halefs Gesicht strahlte vor Vergnügen. Er fuhr freundlich fort:
„Da also erwiesen ist, daß nicht die geringste Schuld auf dich fällt, so haben wir kein
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