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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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einiger Zeit wiederholte, glaubte ich, an der Wahrheit dieser Beobachtung zweifeln zu müssen. Ich ließ mir ein Stück Leder geben, rollte es zum Rohr zusammen und setzte es, die Haddedihn zum tiefsten Schweigen auffordernd, dem Mekkaner auf das Herz. Es verging wohl über eine Minute; da glaubte ich, ein Geräusch gehört zu haben, sagte aber nichts; dann hörte ich es wieder, auch zum dritten, vierten und fünften Male; es waren die Diastolgeräusche, die zweiten kürzeren und helleren Herztöne, welche ich bemerkt hatte; die ersten Herztöne sind zwar stärker und länger, aber dumpfer und an Scheintoten nie zu hören. Jetzt war ich meiner Sache sicher und sagte, indem ich schnell aufsprang:
    „Halef, dein Wunsch ist erfüllt, denn dieser Mann lebt; er ist nur scheintot, und mit Gottes Hilfe wird es uns gelingen, seine Seele zurückzurufen!“
    „Hamdullillah! Wir werden den Tod überwinden und dem Leben befehlen, wieder dahin zurückzukehren, wohin es rechtmäßigerweise gehört! Wir werden es an seine Pflicht erinnern und nicht eher ruhen, als bis es uns Gehorsam geleistet hat! Aber da ich nicht weiß, wie das zu machen ist, so fordere ich dich auf, Effendi, uns zu sagen, wie es geschehen soll!“
    „Das wird durch den Itnaffas maßnu (künstliches Atmen) geschehen.“
    „Itnaffas maßnu? Davon habe ich noch nie etwas gehört. Es ist doch keine Kunst, zu atmen! Wenn man den Mund öffnet, geht die Luft ganz von selbst hinein.“
    „Dir das zu erklären, habe ich jetzt keine Zeit. Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, wenn wir mit unserer Hilfe nicht zu spät kommen wollen.“
    „Aber ich darf mithelfen?“
    „Ja. Ich werde dir zeigen, was du zu tun hast.“
    Der Oberkörper des Mekkaners wurde ganz entkleidet und, etwas erhöht, auf den Rücken gelegt. Ich zog seine Arme in regelmäßigen Intervallen vom Brustkorbe ab, langsam nach oben über den Kopf und drückte sie ihm dann wieder an den Körper. Halef mußte in den gleichen Intervallen ihm den Unterleib nach oben drücken, wodurch eine regelmäßige Erweiterung und Verengerung des Brustkorbes entstand, durch welche die Lunge gezwungen wurde, abwechselnd Luft aufzunehmen und wieder abzugeben. Natürlich hatte ich ihm vorher die Zunge so weit vorgezogen, daß ein Haddedihn sie fassen und festhalten konnte, weil durch sie sonst der Atmungsweg verschlossen worden wäre. Während wir in dieser Weise beschäftigt waren, wurde der Körper des Münedschi, auch an den Beinen, von noch zwei Haddedihn unausgesetzt sehr stark frottiert.
    Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß der kleine, gesprächige Hadschi sich während dieser Arbeit fortwährend in Bemerkungen erging, die nicht zur Sache gehörten, von mir aber nicht zurückgewiesen wurden, weil dies auf seinen Eifer abkühlend gewirkt hätte. Dieser mußte im Gegenteile erhalten werden, denn unsere Bemühungen schienen lange Zeit ohne allen Erfolg zu sein.
    Es war wohl schon eine Stunde vergangen, und ich wurde von der einförmigen Bewegung müde. Eben wollte ich mich für einige Zeit ablösen lassen, als ich bemerkte, daß der Scheintote Farbe bekam; da war nun freilich von Ermüdung keine Rede mehr. Schon nach kurzem holte er selbständig Atem und öffnete die Augen. Was für prachtvolle Augensterne das waren!
    Ich habe viele, viele Reimereien gelesen und gehört, in denen von herrlichen blauen oder gar himmelblauen Augen die Rede ist, aber noch nie ein himmelblaues Augenpaar gesehen. Ich behaupte darum, daß es gar kein rein blaues Auge gibt. Hat es aber jemals wirkliche, herrliche, himmelblaue Augen gegeben, so sind es die des Münedschi gewesen, welche sich jetzt so weit öffneten und mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke groß und voll auf den Hadschi richteten. Das war ein mir völlig unbekannter Glanz, ein Blick, der nicht dieser Welt anzugehören, sondern aus dem Jenseits zu kommen schien.
    „Sihdi, er ist wach! Er atmet und schaut mich an!“ rief Halef überglücklich.
    „Durst!“ hauchte der Kranke.
    Es wurde Wasser gebracht; wir setzten ihn aufrecht und flößten es ihm langsam und vorsichtig ein, fast nur tropfenweise. Durch diese langsamen und regelmäßigen Schlingbewegungen wurde sein noch schwaches Atmen unterstützt. Es besserte sich.
    „Danke!“ sagte er, als der ärgste Durst gelöscht zu sein schien. Dann sank er um, schloß die Augen wieder und schlief ein, wodurch aber das Atemholen nicht gestört wurde. Die Züge wurden im Gegenteile immer kräftiger und tiefer.
    „Hast

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