19 - Am Jenseits
die Moschee, um zu beten. Kara Ben Nemsi Effendi hält es nämlich für keine Sünde, auch in einem mohammedanischen Gotteshause ein christliches Gebet zu sprechen; er meint sogar, daß die Moschee dadurch nicht geschändet, sondern geheiligt werde. Niemand kannte ihn, auch der Mufti nicht, welcher neben uns kniete. Später erfuhr dieser aber, daß der Effendi ein Christ sei, und zeigte ihn wegen Entweihung des Heiligtums an. Wir wurden vor das Gericht beordert, wo der Kadi sich bemühte, das Verbrechen so streng wie möglich zu nehmen. Aber Kara Ben Nemsi gab solche Antworten, daß der Richter immer mehr in Zorn geriet und ihn endlich grimmig andonnerte: ‚Du hast dich wohl vor keinem Kadi zu fürchten?‘ Der Effendi antwortete ruhig: ‚Nein, sondern der Kadi hat sich vor mir zu fürchten!‘ Hierauf berief er sich auf eine vor kurzem erlassene Fetwa (Entscheidung) des Scheik ul Islam (Oberste geistliche Behörde), nach welcher studierte Christen die Moscheen betreten dürfen, wenn es in frommer, andachtsvoller Weise geschieht, um die nachzueifernden Gebräuche unserer Anbetung kennen zu lernen. Als man uns infolgedessen sagte, daß wir gehen könnten, erklärte er, daß er noch bleiben müsse, um den Kadi wegen Schändung des Heiligtums anzuzeigen, weil er ihn jetzt als die Person erkannt habe, die mit uns zu gleicher Zeit in der Moschee gewesen sei, ohne die Pantoffel auszuziehen, wie es vorgeschrieben ist. Der Kadi war erschrocken und entrüstet, mußte aber die Wahrheit der Anzeige zugeben und entschuldigte sich damit, daß er die Dah ilmafasil (Rheumatismus) in den Füßen habe und darum den kalten Steinboden nicht ohne Pantoffel betreten dürfe. Der Effendi riet ihm lachend, das nächste Mal sogar die Stiefel anzuziehen, und dann entfernten wir uns. Du ersiehst aus diesem Beispiel, daß es nicht geraten ist, mit ihm etwas vorzunehmen, was ihm nicht behagt; er pflegt es in das Gegenteil zu wenden. Ich kenne Moslemin, welche ihn zum Islam bekehren wollten, aber damit nur erreicht haben, daß sie selbst ihren Glauben geändert haben und Christen geworden sind.“
„Ist das wirklich möglich?!“
„Nicht nur möglich, sondern wahr! Wünsche also ja nicht, in dieselbe Gefahr zu kommen!“
„Diese Gefahr würde es für mich nicht geben, selbst wenn seine Gelehrsamkeit noch größer wäre, als sie ist.“
„Du würdest sie gar nicht bemerken; er sagt, Gott wohlgefällig zu leben, das sei seine Wissenschaft, und er höre ein frohes Lachen viel lieber als die trockenen Chitabat (Vorträge) aller Ulama (Gelehrten) des ganzen Morgenlandes.“
„Dann ist es ja sehr gut, daß er sich nicht hier befindet!“
„Warum?“
„Weil du mir gesagt hast, daß dein hier neben mir sitzender Gefährte Hadschi Akil Schatir der größte Gelehrte des Morgen- und sogar auch des Abendlandes ist.“
„Oh, sie würden sich sehr gut zusammen vertragen, denn trotz der unzähligen Wissenschaften, welche im Kopfe dieses meines Freundes Unterkunft gefunden haben, ist ihm niemals etwas davon anzumerken.“
„Ich habe es aber vorhin bemerkt, als er die Erklärungen zu dem Spruche Alis, des Kalifen, gab.“
„Ja, so eine Erklärung entschlüpft ihm wohl zuweilen, gewöhnlich aber behält er sie für sich, und das ist sehr lobenswert von ihm, weil es so viele Erklärungen gibt, die man, um sie zu begreifen, sich wieder erklären lassen muß. Jetzt weißt du nun wohl, wer und was wir beide sind. Allah ist dir wohlgeneigt gewesen, indem er dich mit uns zusammenführte. Wir haben fünfzig tapfere Krieger der Haddedihn bei uns, und außerdem wirst du zuweilen auch eine weibliche Stimme vernehmen. Die, welche du da sprechen hörst, ist Hanneh, die wohlerzogene Gebieterin meines Frauenzeltes, deren Schönheit und Leutseligkeit zu den größten Vorzügen der Türkei und aller persischen Provinzen gehört. Allah gebe ihr ewige Jugend und hierauf dann ein mir und ihr gefälliges Alter! Was du sonst noch wissen willst, können wir dir später sagen. Jetzt nun sprich auch du! Oder soll ich lieber fragen?“
Der Münedschi zögerte eine ganze Weile mit der Antwort. Dann, als er an einem wiederholten Husten des Hadschi hörte, daß dieser ungeduldig zu werden begann, sagte er:
„Meine Rede über mich kann sehr kurz sein. Man zählt mich auch zu den gelehrten Leuten. Ich war ein gesunder und wohlhabender Mann, als ich vor mehreren Jahren nach Mekka kam. Mein Vermögen wurde mir von fremden Pilgern gestohlen. Ich wohnte bei El Ghani. Er
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