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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zurück?“
    Sonderbar, höchst sonderbar! Hatten wir es etwa mit einem Irren, einem Wahnsinnigen zu tun? Er schaute mit weit geöffneten, glänzenden Augen um sich, die unmöglich blind sein konnten, mußte uns also doch sehen. Und im Lande der Verstorbenen wollte er gewesen sein? Er wurde el Münedschi genannt, der Wahrsager. Dieses türkische Wort bedeutet auch Sterndeuter. Wahrsager, Stern- und Zeichendeuter, diese Worte haben selbst für jemanden, der sonst nicht nach biblischen Verboten fragt, einen warnenden Beigeschmack. Ich mußte an den Hokuspokus der südafrikanischen Regenmacher, die indianischen Medizinmänner und ähnliche zweideutige Existenzen denken. Einen so tiefen, Ehrfurcht erweckenden Eindruck dieser Mann erst auf mich gemacht hatte, jetzt fühlte ich nur noch die Notwendigkeit, vorsichtig gegen ihn zu sein. Hanneh war weit zurückgetreten; Halef sah ihn mißtrauisch von der Seite an, und die Haddedihn schienen nicht im Klaren darüber zu sein, ob sie sich wundern oder über ihn lachen sollten.
    „Du bist natürlich auf der Erde“, beantwortete ich seine letzte Frage.
    „Wo da?“
    „Wo du vorher warst.“
    „Ich war bei El Ghani. Wo ist er? Ich höre ihn nicht.“
    „Aber du siehst doch uns!“
    „Euch? Sehen? Allah w' Allah! Deine Worte sagen mir, daß ich mich bei Leuten befinde, die mich gar nicht kennen. Seht ihr denn nicht, daß ich blind bin?“
    „Nein, das sehen wir nicht. Du scheinst vielmehr ganz vortreffliche Augen zu besitzen.“
    „Du irrst. Ich weiß, daß meine Augen glänzen, aber dieser Glanz ist Täuschung. Ich höre deiner Stimme an, wie weit du dich von mir befindest, aber ich kann dich nicht erkennen. Nur wenn du ganz nahe zu mir herankommst, kann ich dich wie die dunkle, verschwimmende Schattengestalt eines bösen Geistes erkennen.“
    „Du scheinst solche böse Geister gesehen zu haben?“
    „O sehr oft! Aber wo ist El Ghani? Ich bin besorgt um ihn und also auch um mich. Er ist der einzige, der mich verstehen und behandeln kann, er, mein Wohltäter, ohne den ich längst gestorben wäre. Sagt es mir! Ich bitte euch!“
    Das schien der Ton wirklicher, ungeheuchelter Angst zu sein. Ich wollte und mußte ihn prüfen. Darum legte ich die Hand um den Griff meines Messers, welches ich im Gürtel stecken hatte, zog es plötzlich heraus und stieß damit nach seinem Gesicht, als ob ich ihn ins Auge stechen wolle. Er zuckte, obgleich dieses letztere fast von der Spitze der Klinge berührt wurde, doch mit keiner Wimper und veränderte auch den Ausdruck des Gesichtes nicht im geringsten. Ein Sehender hätte sich bei dieser meiner plötzlichen Bewegung doch wohl anders verhalten; er schien also doch wirklich blind zu sein. Darum antwortete ich in freundlicherem Tone als zuletzt:
    „Du wirst die gewünschte Auskunft erhalten, wenn du vorher uns welche über dich gegeben hast. Vor allen Dingen will ich dir sagen, daß du dich um dich nicht zu ängstigen brauchst. Du befindest dich bei guten Menschen, welche dich als Freund und Hilfsbedürftigen behandeln werden. El Ghani ist ein Mekkaner?“
    „Ja; wir alle sind aus Mekka. Aber ich bin blind und sehe euch nicht; ich weiß also nicht, ob und wie ich euch antworten soll und darf. Ich bitte euch also, nachsichtig gegen meine Unbehilflichkeit zu sein und mir zuerst zu sagen, wer ihr seid!“
    „Komm erst zu unserem Lagerplatz! Du hast nur höchstens fünfzig Schritte weit zu gehen.“
    „So führe mich!“
    Ehe ich ihn bei der Hand nahm, wiederholte Halef mein voriges Experiment mit seinem Messer. Der Blinde bemerkte es wirklich nicht. Dann, als wir gingen, nahm ich ihn so, daß das Grab grad vor ihm lag. Drei Schritte, und dann wäre er unbedingt hineingelaufen, wenn ich ihn nicht auf die Seite gezogen hätte. Der Ortswechsel wäre gar nicht notwendig gewesen, wenn ich ihn nicht vorgeschlagen hätte, um den Gang dieses Mannes zu prüfen. Er bewegte sich mit einer Unsicherheit, welche gewiß nicht bloß eine Folge der ausgestandenen Anstrengungen und Entbehrungen war. Obgleich er von mir geführt wurde, waren seine Schritte so vorsichtig suchend, wie man es nur bei Blinden beobachtet und ein Sehender es nicht nachmachen kann. Wir hatten es also nicht mit einem Simulanten zu tun.
    Die guten Folgen dieser bestandenen Prüfung gaben sich sofort im Verhalten der Haddedihn zu erkennen, die nun nicht mehr Mißtrauen gegen, sondern herzliches Mitleid für ihn fühlten. Sie bereiteten ihm einen weichen Sitz und fragten ihn nach

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