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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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andere Gründe, welche ich nicht kenne, haben zusammengewirkt, den Zustand herbeizuführen, den wir als scheintot bezeichnen.“
    „Scheintot!“ sagte er. „Zwei volle Tage habe ich gelegen! Solltest du recht haben. Es wäre entsetzlich gewesen, wenn ich begraben worden wäre, ohne wirklich tot zu sein! Scheintot! Es gibt ja überhaupt keinen wirklichen Tod, denn das, was ihr so nennt, das ist eben nichts anderes als scheinbarer Tod. Es ist das Ablegen des irdischen Kleides, welches wir unter dem Namen ‚Körper‘hier getragen haben, aber niemals wieder tragen werden. Dieser Körper bleibt zurück, um sich in seine Grundbestandteile wieder aufzulösen, die Seele aber, die in ihn gekleidet war, wird auf ewig frei von ihm, der sie beengte.“
    Diese Weise, sich auszudrücken, machte mich stutzig. Er sprach da nicht wie ein frommer, gläubiger Mohammedaner; darum konnte ich es nicht unterlassen, einzufallen:
    „Damit befindest du dich mit den Lehren Mohammeds und allen Auslegungen des Koran in direktem Widerspruch.“
    „Nein“, antwortete er. „Bedenke, daß der Prophet und seine Nachfolger nicht nüchterne Abendländer, sondern Orientalen waren und als solche die Gewohnheit hatten, sich nicht streng treffend, sondern bildlich auszudrücken! Wenn Hadschi Halef dich den größten Gelehrten des Morgen- und des Abendlandes nennt, so habe ich das nicht wörtlich, sondern nur in dem Sinne zu nehmen, daß du mehr gelernt hast und mehr weißt als viele andere gewöhnliche Gelehrten. Sogar die christliche Bibel hat man von diesem Gesichtspunkte aus zu lesen und zu beurteilen, weil die Verfasser der in ihr enthaltenen Bücher auch Orientalen waren.“
    „Damit leugnest du also, daß diese Bücher von dem Geiste Gottes eingegeben worden sind?“
    „Nein; aber er hat durch orientalische Zungen gesprochen, falls die Annahme dieser Eingebung nämlich nicht eine irrtümliche ist. Gottes Geist kann natürlich nicht ein spezifisch morgenländischer sein.“
    „So nennst du es also bildlich gemeint, daß die Elemente die aufgelösten und zerstreuten Körperteile bei der Auferstehung nicht zurückgeben werden? Daß der Auferstehende seine Gebeine von der Erde, sein Blut von dem Wasser, sein Fleisch und sein Haar von der Pflanze und sein Leben von dem Feuer zurückerhalte?“
    „Das ist eine altpersische Lehre; du kennst also den Parsismus?“ fragte er erstaunt. „Warum nimmst du dein Beispiel nicht aus der Bibel, von welcher wir doch sprechen? Doch“ – fuhr er schnell fort – „ich vergesse, daß du ja gar nichts aus ihr beweisen kannst, weil sie dir unbekannt ist!“
    Da fuhr ich fort:
    „Ich weiß, daß sie von der Auferstehung des Fleisches spricht.“
    Stellen anzugeben, glaubte ich, unterlassen zu müssen, weil es verheimlicht werden sollte, daß ich Christ war. Zu meiner Verwunderung antwortete er mir:
    „Der Apostel Paulus sagt: ‚Es wird gesäet ein irdischer Leib, und auferstehen wird ein geistiger Leib; gibt es einen irdischen Leib, so gibt es auch einen geistigen Leib.‘“
    Jetzt war die Reihe, zu erstaunen, an mir. Dieser Mohammedaner kannte die Briefe an die Korinther! Er fuhr gleich fort:
    „Durch das Zusammenwirken der Seele und des Leibes in diesem Leben bildet sich ein zweiter, für uns unsichtbarer Leib, welcher, für uns unbemerkbar, die Poren des irdischen durchdringt und die Verbindung zwischen ihm und der Seele herstellt; er entsteht aus den unwägbaren Stoffen des sterblichen Leibes und geht nicht mit diesem verloren, sondern begleitet die Seele in die Ewigkeit. Dieser für unser Auge nicht erkennbare Leib ist es, welchen der Apostel, also auch die Bibel meint, wenn von der Kijahma des Leibes die Rede ist.“
    „Das war so ungefähr die Ansicht des Abu en Nasranija (Kirchenvater) Origenes.“
    Jetzt wunderte wieder er sich über mich.
    „Du kennst Origenes?“ rief er aus. „So bist du ja noch unterrichteter, als ich dachte! So wirst du mich also vielleicht verstehen, wenn ich sage, daß ich den Tod nicht fürchte, weil er nichts weiter ist als die Ablegung des groben Kleides, welches hier die Seele und den geistigen Leib zu schützen hatte. Beide bedürfen nach dem Tode dieses Schutzes nicht mehr. Freilich ist das Ablegen dieses groben Leibes, also der Tod, nicht so leicht und so schmerzlos wie das Entfernen eines gewöhnlichen Gewandes, und darum erschrak ich vorhin, als du sagtest, daß ich scheintot gewesen sei. Ich kann nicht glauben, daß dies richtig ist, sondern nehme

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