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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nahm sich meiner an und behielt mich selbst dann bei sich, als ich erblindete. Jetzt lebe ich nur allein von seiner Güte. Als er vor zwei Monaten nach Meschhed Ali mußte, nahm er mich mit, weil dort meist Perser sind, deren Sprache er weder spricht noch versteht. Jetzt befanden wir uns auf dem Rückweg. Das Wasser ging uns aus, und fast verschmachtet mußten wir mitten in der Wüste halten bleiben. Wir waren überzeugt, daß Allah unsern Tod beschlossen habe. Mehr weiß ich nicht zu sagen; das andere wißt nur ihr.“
    Das war die ganze Auskunft, welche er uns erteilte. Ich sah Halef an, daß er wieder fragen wollte, winkte ihm aber ab. Es gab einige Punkte, über welche ich trotz der Schweigsamkeit und Zurückhaltung des Mekkaners gern Auskunft haben wollte. Er war unser Gast und dabei ein unglücklicher, blinder Mann, wahrscheinlich auch noch sonst beklagenswert, und gegen solche Leute ist man nicht gern zudringlich; aber wenn man bei Wohltaten auch nicht grad zu wissen braucht, wem man sie erweist, so gab es hier doch andere, sehr triftige Gründe, es nicht bei dem bisherigen, ganz unzureichenden Aufschlüsse bewenden zu lassen. Ich erkundigte mich also, jedoch in rücksichtsvollem Tone:
    „Möchtest du uns wohl sagen, welchem Berufe El Ghani angehört?“
    „Er ist Schech el Harah (Oberster eines Stadtviertels)“, antwortete er.
    „Und wie ist sein eigentlicher Name?“
    „Habt ihr ihn gesehen?“
    „Ja.“
    „Auch mit ihm gesprochen?“
    „Ja.“
    „Hat er euch seinen Namen nicht gesagt?“
    „Nein.“
    „So erlaube, daß ich ihn auch zurückbehalte! Er ist mein Wohltäter, dem ich zur Dankbarkeit verpflichtet bin; ich habe also kein Recht, das zu sagen, worüber zu schweigen er seine Gründe gehabt haben wird.“
    „Ich achte diese deine Dankbarkeit, obwohl ich der Ansicht bin, daß ein ehrlicher Mann seinen Namen nicht zu verschweigen braucht. Du hast den deinen auch noch nicht genannt!“
    „Effendi, willst du mich der Unehrlichkeit zeihen?“
    „Nein. Es genügt mir, von El Ghani erfahren zu haben, daß man dich El Münedschi nennt. Aber wann ihr hier mitten in der Wüste Halt gemacht habt, das darf ich wohl erfahren?“
    „Es war am Jom es Sabt (Samstag) früh.“
    „Also – vorgestern. Wann bist du da eingeschlafen?“
    „Sofort, als ich vom Kamel gefallen war; zum Absteigen fehlte mir die Kraft.“
    „Während dieses Schlafes hat dir von einem andern Leben, von einer andern Welt geträumt?“
    „Effendi, darüber laß mich schweigen! Ich träume nicht. Was du für Traum hältst, ist etwas ganz anderes. Du bist ein berühmter Gelehrter; aber alle deine Gelehrsamkeit reicht nicht aus, das zu begreifen, was ich dir darum lieber verschweige.“
    „Ich meine im Gegenteile, daß ich als Gelehrter es leichter begreifen würde als ein Ungelehrter.“
    „Nein. Du würdest es für eine Krankheit halten, während es doch grad ein Beweis der höchsten geistigen Gesundheit ist. Ich bitte dich, nicht in mich zu dringen, und mich jetzt wieder mit El Ghani zu vereinigen!“
    „Die Erfüllung dieses Wunsches ist leider jetzt nicht möglich. El Ghani ist fort.“
    „Fort? Wohin?“
    „Nach Mekka.“
    „Ohne mich?!“
    „Ja. Er hielt dich für tot und hatte dich schon eingescharrt. Als er mit seinen Leuten fortgeritten war, nahm ich dich aus dem Grabe und fand, daß du noch lebtest.“
    „Tot? Begraben schon?“ fragte er entsetzt. „Allah sei mir gnädig! El Ghani weiß doch, daß ich stets sehr bald wieder zu mir zurückkehre!“
    Mit diesen Worten hatte er mir sein Geheimnis schon halb verraten, ohne es in seiner Aufregung zu bemerken; die andere Hälfte dachte ich mir hinzu. Darum fragte, wie man sich auszudrücken pflegt, ich ihn grad auf den Kopf:
    „Wie lange pflegtest du in solchen Fällen gewöhnlich nicht bei dir zu sein?“
    „Nur einige Stunden“, antwortete er prompt.
    „Du wußtest dann, wo du gewesen warst?“
    „Ja, ganz genau.“
    „Und dieses Mal hat es länger als zwei volle Tage gedauert. Es handelte sich auch nicht bloß um den bei dir üblichen Zustand, sondern du warst scheintot. Die Anstrengungen des langen Rittes und die Entbehrung des Wassers, der Einfluß deiner Nervenkrankheit, die ich allerdings nicht wie du als den ‚Beweis der höchsten geistigen Gesundheit‘ bezeichne, und dazu der Umstand, daß du ein außerordentlich starker, mit Tabak durch und durch vergifteter Raucher zu sein und darum sehr wenig zu essen scheinst, diese und vielleicht auch noch

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