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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Weiterkommen unter fremden Leuten! Da verstand es sich dann ganz von selbst, daß wir ihn unsers gern verliehenen Beistandes versicherten. Wir wollten ja auch nach Mekka, hatten also gleichen Weg mit ihm und brachten gar kein Opfer, wenn wir eines unserer Kamele für ihn bestimmten. Er war, als er dieses hörte, natürlich hoch erfreut und erklärte sich für kräftig genug, gleich mit uns aufzubrechen.
    Ich glaubte, Grund zu haben, dieser seiner vermeintlichen Kraft kein allzu großes Vertrauen schenken zu dürfen. Er hatte, seit wir von dem Grabe weggegangen waren und hier auf dem Teppiche saßen, gequalmt wie – um mich eines landläufigen Ausdruckes zu bedienen – wie ein Stadtsoldat und den Tschibuk achtmal ausgeraucht; ich mußte ihn zu den stärksten Rauchern zählen, die ich kennen gelernt hatte. Wahrscheinlich war sein ganzer Körper vom Gifte des Tabaks durchzogen und sein Magen vollständig verdorben worden. Daher die Behauptung, daß er selbst jetzt, nach so langem Fasten, keinen Hunger habe. Ich erklärte, daß wir den Weiterritt nicht eher antreten würden, als bis er tüchtig gegessen habe, und hielt auch Wort, obwohl es fast des Zwanges bedurfte, die reichliche Portion zu verzehren, welche Hanneh ihm aus unsern Vorratstaschen brachte. Ohne ein Augenarzt zu sein, konnte ich mich der Meinung nicht erwehren, daß auch seine Blindheit in enger Beziehung zu diesem starken Rauchen stehe, und daß ich da recht hatte, bewies mir dann die spätere Zeit.
    Übrigens war es mir gar nicht unlieb, diesen Mann hier unterwegs getroffen zu haben. Obgleich blind, kannte er Mekka doch jedenfalls besser als wir und konnte uns also, wenn nicht durch die Tat, so doch durch seinen Rat wohl nützlich werden. Ferner war er an sich eine interessante Persönlichkeit. Und drittens besaß er für mich den Reiz des Geheimnisvollen. Ich hegte die Vermutung, daß er das nicht sei, als was er gelten wollte, und hatte meine Gründe dazu.
    Daß er ein Gelehrter, und zwar kein gewöhnlicher, war, hatte er bewiesen. Er kannte sogar die Bibel, ein höchst seltener Fall. Auch in der Theologie der alten Perser war er bewandert! Das mußte mehr als bloß meine Aufmerksamkeit erregen. Sodann hatte er erzählt, daß er als reicher Mann nach Mekka gekommen sei. Das wollte nicht mit den geringen Einnahmen eines morgenländischen Gelehrten stimmen. Auch seine Ausdrucksweise war mir aufgefallen. Sie war nicht die umschreibende, bilderreiche eines geborenen Orientalen, sondern eher diejenige eines Europäers, der sich allerdings schon seit langer Zeit im Morgenland befunden hat. Er drückte sich bestimmt und ohne Anwendung von Tropen aus. Auch auf seine Aussprache einiger arabischer Laute war ich aufmerksam geworden. Die beiden Ha, das Ain, den Unterschied zwischen dem Sin und Sad, des Rain, Ren oder Ghen, das erste Kaf, das alles brachte er nicht so heraus, wie ein Eingeborener es bringt. Auch hatte er sich einiger Worte bedient, welche dem Araber zwar auch, aber nicht in dem gebrauchten Zusammenhange geläufig sind. Es ist da wohl kein Wunder, wenn ich sage, daß er mir ein Rätsel war.
    Wenn ich weitergehen will, so war mir auch sein Verhältnis zu El Ghani unklar geblieben, nicht etwa, weil er so wenig darüber gesagt hatte, denn diese Zurückhaltung war Fremden gegenüber wohl begreiflich; aber er schien außer der Dankbarkeit für empfangene Wohltaten noch etwas für oder gegen diesen Mann zu empfinden, was er sich bemühte, zu verheimlichen. Warum hatte der vornehme Mekkaner den Blinden mit nach Meschhed Ali genommen, dem alten, gebrechlichen Mann also einen so weiten, beschwerlichen Weg zugemutet? Um sich seiner als Dolmetscher zu bedienen? Gewiß nicht! Es gibt in Mekka junge, kräftige Leute mehr als genug, welche des Persischen mächtig sind und unter denen er nur zu wählen brauchte. Hatte er das etwa aus Geiz nicht getan, weil er einen Dolmetscher hätte bezahlen müssen? Vielleicht war dies ein Nebengrund, aber der Hauptgrund sicher nicht, denn jeder halbwegs gebildete Perser spricht auch arabisch, und so wäre El Ghani in Meschhed Ali mit seinem Arabisch ganz gut ausgekommen. Es lag da jedenfalls etwas vor, was niemand, am allerwenigsten ein Fremder, erfahren sollte!
    Am meisten interessierte mich natürlich sein krankhafter Zustand, welchen er mit den Worten bezeichnet hatte: „Mein Körper ist es gewöhnt, von der Seele zeitweilig verlassen zu werden.“ Tiefe und längere Ohnmachten kommen bei verschiedenen, auch habituellen,

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