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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Tapferkeit gewundert hätte. Er wendete sich im Sattel um und rief Hanneh, welche uns, von ihrem Sohne begleitet, in einiger Entfernung vor den Haddedihn folgte, zu:
    „Jetzt hättest du hören sollen, was der Khutab Agha sagte, o Hanneh, du schönste Blume auf allen Beeten der beseligenden Weiblichkeit! Er meint, ich sei ein unvergleichlicher Erzähler, dem man von heut an bis zum jüngsten Tage zuhören könne, ohne sich nur ein einziges Mal nach den Freuden des Paradieses zu sehnen! So wird also der Getadelte gelobt, der Erniedrigte erhöht und das Genie endlich in seiner ganzen Erhabenheit und Größe anerkannt! O Hanneh, mein geliebtes Weib, o Kara Ben Halef, mein gehorsamer Sohn, eifert eurem Gatten und Vater immer nach, dann werdet ihr vielleicht denselben Ruhm erwerben und einst nur scheinbar sterben, sonst aber ganz wohlbehalten auf die Nachwelt kommen. Allah, der Behüter und Bewahrer, gebe es!“
    „Du fragtest mich“, fuhr zu ihm der Perser in seinem Gedankengang fort, „ob ich diese Kijahma begreifen könne. Diese Mekkaner sind fast zwei Monate lang bei uns in Meschhed Ali gewesen, und wenn es da auch nicht vorgekommen ist, daß El Münedschi in das Grab gelegt wurde, so haben wir ihn doch oft stundenlang starr wie eine Leiche gesehen, bis seine Seele wieder zu ihm kam. Auch ist er oft im Schlaf gewandelt, ohne zu wissen, was er tat und wo er sich befand.“
    „Durfte man da auf ihn einsprechen?“ erkundigte ich mich.
    „Wir haben es getan.“
    „Wachte er davon auf?“
    „Nein. Er gab Antworten, die wir oft gar nicht, oft nur halb und selten ganz verstanden, und wenn dann seine Seele zurückkehrte, kam er zum Bewußtsein, doch nur für einen Augenblick, denn er legte sich dann um und schlief ein, als ob die Abwesenheit seiner Seele ihn angestrengt habe und er sich davon erholen müsse.“
    „Geschah das ohne Aufsicht?“
    „Nein, denn El Ghani war stets dabei und bewachte ihn. Er zeigte ihn den Leuten und erlaubte, daß sie Fragen an ihn richteten, die der Münedschi beantwortete. Die Antworten klangen oft so wunderbar, als ob sie aus einer andern Welt, nicht von der Erde kämen, und dann wieder waren sie so leichtverständlich, daß jedes Kind gleich wußte, was er meinte. Er wurde besonders nach Mitteln gegen Krankheiten gefragt und nach allerlei heimlichen Dingen, die man durch ihn entdecken wollte. El Ghani ließ sich dafür mit Silber und sogar mit Gold bezahlen und hat von den vielen Pilgern, welche die heiligen Stätten der Schiiten ja zu Tausenden besuchen und seine Wohnung ohne Aufhören belagerten, so viel Geld eingenommen, daß er es nicht nach Mekka schaffen konnte, sondern es bei einem Sarraf (Wechsler, Bankier) gegen einen Schein umtauschte.“
    „Ah, er ließ den Blinden also für Geld sehen?“
    „Ja.“
    „So nützt er ihn also als immerwährend fließende und reiche Einnahmequelle aus! Nun ist mir seine sogenannte Mildtätigkeit gegen den Münedschi ja ganz klar. Ich traute ihr gleich anfangs nicht! Er wird das in Mekka ebenso und mit noch größerem Erfolge machen, ohne daß der Kranke es ahnt. Er behält ihn bei sich wie einen Gefangenen und nützt ihn aus, soviel er kann. Nun weiß ich auch, warum er den alten, gebrechlichen Mann mit nach Meschhed Ali genommen hat; als Dolmetscher, hat er ihm weisgemacht. Der eigentliche Grund war aber, daß er auch dort Geld mit ihm verdienen wollte, und weil er ihn doch nicht in Mekka lassen konnte. Er hätte ihn einstweilen andern Leuten anvertrauen müssen, durch welche dem Blinden der eigentliche, wahre Grund der Wohltätigkeit seines vermeintlichen Beschützers verraten worden wäre. Um das zu verhüten, mußte er ihn bei sich behalten und ihn also mitnehmen. Also du meinst, daß dieser bedauernswerte alte Mann von dem in Meschhed Ali verübten Diebstahle nichts weiß?“
    „Er ist höchstwahrscheinlich unschuldig. Vielleicht erzähle ich dir noch, wie alles zugegangen ist, denn vor Kara Ben Nemsi brauche ich, obgleich er Christ ist, die Geheimnisse des Heiligtumes nicht so streng verschlossen zu halten wie vor andern Laien, und dann wirst du auch dieser meiner Meinung sein. Ich glaube sogar, der Alte würde uns gewarnt haben, wenn er gewußt hätte, daß wir bestohlen werden sollen. Ich weiß nicht, wie du als Christ seinen Zustand erklärst, wahrscheinlich als Krankheit, denn du hast ihn ‚den Kranken‘ genannt; ich als Moslem aber bin überzeugt, daß er von Geistern besessen ist, und zwar von guten, nicht von bösen, denn

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