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190 - Der Finder

190 - Der Finder

Titel: 190 - Der Finder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Lederrute – also doch sein Vater!
    Victorius sank auf die Knie. Seine Gedanken rotierten. Irgendetwas stimmte nicht. Der Lederstock zischte mit solcher Gewalt auf ihn nieder, dass seine Kopfhaut aufplatzte. Victorius stürzte auf den Gondelboden. Er schlang seine Arme um die Beine der Gestalt und stammelte eine Entschuldigung.
    Auf einmal erfüllte goldenes Licht die Gondel. Victorius hob den Blick: Der zum nächsten Schlag erhobene Stock leuchtete, als wäre er aus Gold. Wieder und wieder fuhr er auf ihn herab, drang tief in seinen Schädel ein, und merkwürdigerweise bereitete er ihm Vergnügen statt Schmerzen. Nach jedem Schlag breitete sich intensivere Lust in seinem Körper aus. Er lachte und weinte zugleich vor Freude.
    »Für wen bist du geboren?«, rief die Stimme, und nun erinnerte sie Victorius keineswegs mehr an die Stimme seines Vaters.
    »Für dich«, stöhnte er.
    »Für wen lebst du?« Gauko’ons Stimme vibrierte in seinen Knochen.
    »Für dich.«
    »Für wen stirbst du?«
    »Für dich.«
    »So sei es…!«
    ***
    Die ganze Nacht hindurch lief er. Lief und lief, bis er mentale Impulse aus der Dunkelheit empfing. Grao’sil’aana blieb stehen und spürte ihnen nach. Die Auren, von denen die Impulse ausgingen, waren etwas mehr als eine Wegstunde entfernt. Dort erwartete man einen Feind – man erwartete ihn .
    Der Daa’mure lief weiter. Die Schlüsse aus seinen mentalen Beobachtungen lagen auf der Hand: Wer immer den Jungen entführt hatte, er hatte ihn auch zum Reden gebracht, oder seine Gedanken ausspioniert.
    Er wich von der Spur der Tiere und der Primärrassenvertreter ab und schlug einen Bogen um die Quelle der mentalen Impulse. Sie konzentrierten sich an einer einzigen Stelle, vermutlich weil die Entführer den Weg zu kennen glaubten, auf dem er sie verfolgte. Es war natürlich der gleiche Weg, auf dem sie den Jungen verschleppt hatten.
    Nach einer knappen Stunde etwa spürte Grao’sil’aana die Auren zweier Primärrassenvertreter. Sie lagen nicht weit entfernt in dichtem Gestrüpp. Im selben Moment, als er ihre Deckung lokalisierte, entdeckten sie ihn auch schon. Einer robbte aus dem Gestrüpp, stieg auf ein Reittier, das in der Nähe an einen Baum angebunden war, und ritt davon. Der andere blieb reglos in der Deckung liegen. Offenbar ahnte er nicht, dass Grao’sil’aana ihn längst gesehen hatte.
    Im Laufschritt näherte sich der Daa’mure dem Gestrüpp. Er sprang hinein, packte den Wächter und stieß ihm die gestreckten Finger seiner rechten Klaue in den Leib. Danach hetzte er dem zweiten Späher hinterher.
    Die muskulöse Ausstattung und die langen Beine seines Wirtskörpers ermöglichten ihm eine hohe Geschwindigkeit. Eine Geschwindigkeit, die auf kurzen Strecken sogar der eines Malalas überlegen war. Er holte das Tier ein, riss seinen Reiter aus dem Sattel und brach ihm das Genick.
    Als er sich über dem sterbenden Krieger aufrichtete, sah er ein paar hundert Schritte entfernt die Dächer einer kleinen Siedlung im Mondlicht liegen. Das große Springtier hoppelte den Hütten entgegen. An manchen Gebäuden entdeckte er Licht hinter den Fenstern. Vor allem hinter den Fenstern eines Hauses, das im Zentrum des Dorfes auf einem Hügel lag.
    In Gedanken ging er Hütte für Hütte durch, tastete jede Aura ab, die sein mentaler Spürsinn berührte. Rasch entdeckte er Daa’tans Gedankenmuster – es fühlte sich ängstlich und verzweifelt an, auch ein wenig gedämpft. Aber wenigstens lebte er noch.
    Der Junge hielt sich ohne Zweifel im Haus auf dem Hügel auf, oder wenigstens in unmittelbarer Nähe davon. Auch seine Schreie konnte er hören: Ich bin so allein, ich hab solche Angst… wo bist du, Grao?
    Wo bist du, Mutter? Der Junge war in Not.
    Grao’sil’aana bückte sich nach dem Toten, durchsuchte ihn nach Waffen und fand eine Axt und ein Kurzschwert. Beides nahm er an sich. Dann spurtete er los.
    Irgendein dritter Späher musste ihn entdeckt haben, denn die Bewohner des Dorfes kamen ihm entgegen. Vielleicht waren sie auch durch das herrenlose Tier gewarnt worden. Jedenfalls stießen sie wütende Kampfschreie aus, die meisten schwangen Schwerter und Beile, einige trugen Wurfspieße oder schleuderten Krummhölzer in die Luft. Jeder dritte trug eine Fackel.
    Ihr Sturmangriff kam ein wenig ins Stocken, als einige Angreifer sich zu wundern begannen, dass ein einzelner Kämpfer unbeirrt einer zehn- bis zwanzigfachen Übermacht entgegen stürmte. Grao’sil’aana hatte sie nicht gezählt.

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