1903 - Bebenalarm
letzter Triumph, ich koste ihn bis zum letzten Moment aus! Da steht sie, die große Tebb Celestain, und weiß nicht mehr weiter! Sie winselt und jammert und glaubt, mich mit dem Vorwand der Schwesternliebe zur Vernunft bringen zu können!"
Tebb schwieg. Alles schien plötzlich weit entfernt zu sein. Sie stand am Rande eines Abgrunds, auf einem Weg, der kein Vor oder Zurück bot, nur ein Hinab. Alles drehte sich in ihrem Kopf.
*
Tebb machte einen drohenden Satz auf Kobb zu, den Kopf weit vorgereckt, alle Schuppen fast senkrecht abgespreizt.
„Du wirst dafür bezahlen!" zischte sie. „Jeder muß bezahlen, Kobb Taphirtel!"
Bevor ihre Konkurrentin etwas sagen konnte, drehte sie sieh um und verließ den Raum.
Draußen wartete Kobbs Assistentin. Tebb zweifelte keine Sekunde daran, daß sie alles belauscht hatte.
„Hast du auch zu diesem Massenmord beigetragen?" fragte sie direkt.
„Ich habe Kobb persönlich dabei geholfen, die Bombe an Bord zu bringen", antwortete die Assistentin höhnisch. „Kobb hat mir die Augen geöffnet und noch einigen anderen."
„Besitzt du denn überhaupt kein Gewissen? Was geht in dir vor? Noch nie hat eine Setchene einen Mord begangen - und ihr habt nun so viele Leben auf dem Gewissen!"
„Wie Kobb gesagt hat: Das spielt überhaupt keine Rolle mehr, denn übermorgen werden ohnehin alle sterben oder auf die Stufe eines Wüstenwurms zurücksinken.
Weshalb also sollte ich mir Gedanken um diese armen Tölpel machen? Im Gegenteil, sie haben schon alles hinter sich und müssen nicht mehr leiden. Denke mal darüber nach!"
Tebb ging, sie konnte nichts mehr ausrichten. Ihr wurde fast übel, als sie daran dachte, was aus den Setchenen in der Fremde werden mochte, mit jemandem wie Kobb in der Führungsspitze.
Die Straßen waren voll wie seit dem Vortag. Viele Setchenen brachten ihre wichtigste Habe zu den unterirdischen Unterkünften. Viele Alleinstehende versuchten, sich einer Familie anzuschließen und so noch eine Passage zu bekommen - sie liefen verzweifelt auf den Straßen umher und sprachen jede Setchene an, die eine typische Clan-Kleidung trug.
Diejenigen, die schon zu viele Absagen erhalten hatten, schlossen sich zu kleinen Gruppen zusammen, holten sich Werkzeuge und zogen in die Wüste hinaus, um dort eigene Höhlen einzurichten, in der Nähe des Kanalsystems. Sie hatten Angst, keinen Platz in den städtischen Unterkünften mehr zu bekommen, und wollten für ihre eigene Sicherheit sorgen - in letzter Verzweiflung und weil sie nichts Besseres zu tun hatten.
Wieder andere taten genau das Gegenteil - sie boten ihre Passage feil im Austausch gegen wertvolle Güter. Sie hatten zuviel Angst vor dem Flug in die Fremde - auch so etwas kam bei diesem reiselustigen Völkchen vor - und wollten lieber alles unternehmen, um sich die Bebenhaft so angenehm wie möglich zu gestalten.
Am meisten fiel Tebb aber auf, daß sich an vielen Ecken kleine Gruppen mit verschiedenen Musikinstrumenten gebildet hatten, die unaufhörlich Gosaran-Psalmen sangen.
Die meisten Setchenen eilten achtlos an ihnen vorüber, aber Tebb wußte, daß sich das bald ändern würde. Je näher die Stunde Xrückte, desto mehr Setchenen würden Trost in der Religion suchen, als letzte Hoffnung, von der reisenden Göttin auf wundersame Weise gerettet zu werden.
Es gab keine Prophezeiung, die diesen Tag angekündigt hätte. Es gab überhaupt nichts Mystisches oder Orakelhaftes in der Geschichte der Religion um Gosaran, das man annähernd als Warnung hätte auslegen können. Keine Verkünderin oder Prophetin des großen Tempels hatte die Katastrophe vorausgeahnt.
Tebb empfand Bitterkeit bei dem Gedanken, von der Göttin im Stich gelassen worden zu sein. Sie war zwar Realistin und der Ansicht, daß jeder sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, mußte - doch hier war sie an die Grenze ,gestoßen.
Weshalb hatte es keine Vorzeichen gegeben? War Gosaran doch nur der Einbildung der frühen Setchenen in der Wüste entsprungen, als sie zum ersten Mal den Wunsch empfunden hatten, zu - den Sternen zu reisen?
Tebb hatte oft gezweifelt und daher manchmal die Antworten im Gosaran-Tempel gesucht. Doch jetzt, beim Anblick dieser musizierenden Grüppchen, verlor sie alle Zweifel.
Sie waren allein. Kein mächtiges Wesen bot ihnen Schutz oder wenigstens einen Weg, wie sie sich retten konnten. Sie wußten nicht einmal, ob es wirklich zu einer Bebenhaft kommen würde. Was für einen Sinn hätte die Göttlichkeit, wenn sie nicht
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