1909 - Der Bebenforscher
verdichteten sich die Zeichen. Er gab eine offizielle Bebenwarnung, die über sämtliche Bebenwachten und die bewohnten Planeten der Umgebung verbreitet wurde.
Seine Prognose traf ein, mit weniger als sechs Stunden Abweichung. Unter Bebenforschern stellte dies einen guten Wert dar.
Die GLIMMER war das einzige Schiff, das im entscheidenden Augenblick dem Beben nahe kam. Eismer erhielt einen Vorgeschmack auf das, was er noch viele Male sehen würde: einen flammenden Sonnenball, kurz darauf zum Maximum aufgebläht. Hätte es einen Planeten und eine Zivilisation gegeben, beide wären vernichtet worden.
Für den Goldner war es ein Schlüsselerlebnis. Er hatte den Anblick verzweifelt dringend gebraucht, auch wenn es paradox klang.
Endlich konnte er sich als vollwertiger Forscher fühlen, und endlich hatte er mit eigenen Augen angesehen, was seine Kindheit und Jugend so entscheidend prägte.
Seine Wege führten ihn nun häufig in die Nachbargalaxis.
Innerhalb kürzester Zeit spürte er sieben Bebenzonen auf. Alle befanden sich im Randbereich von Salmenghest, der von der Forschergilde vernachlässigt wurde.
Raumschiffsverkehr zwischen DaGlausch und Salmenghest fand ohnehin selten statt.
Der Weg durch den Kessel stand für Raumschiffe nicht offen, also mußte die Zone jedesmal durch den interstellaren Leerraum umflogen werden.
Ausnahmen bildeten lediglich die Bebenforscher, die in beiden Galaxien aktiv waren; die Dscherro-Horden, die ihr „Geschäftsgebiet" verlagerten; in seltenen Fällen auch die Handelsschiffe des Tampa-Konsortiums.
Eismer hätte in den folgenden Jahren gern seine Kontaktscheu überwunden. Aber dies war nicht einfach. Als Bebenforscher mußte er mit einem besonderen Status leben.
Seine Prognose löste Planetenräumungen aus, mit allen grausamen Folgen, von zerstörter Ökonomie bis hin zu Millionen Todesopfern, je nach Mentalität der betroffenen Rasse. Ein Platz an Bord eines Fluchtraumschiff es wurde zum höchsten Gut, wichtiger als Moral und Gesetz.
Das bloße Erscheinen eines Bebenforscher-Schiffes stützte manchmal eine Zivilisation ins Unglück. Warum war der Forscher hier? Kündigte sein Erscheinen ein Kesselbeben an?
Daraus ergab sich der Kodex von Zophengorn: niemals eine öffentliche Bebenwarnung, bevor das Eintreffen des Kesselbebens zu hundert Prozent feststand.
Eine falsche Prognose hätte nicht allein den Nimbus der Unfehlbarkeit zerstört, der den Forschern anhaftete, sondern bei der entstehenden Panik konnte es zu Millionen sinnlosen Todesopfern kommen.
Entsprechend wachsam ging der Goldner zu Werke. Seine Meßergebnisse ließ er stets über die Bebenwachten der Umgebung sichern. Eismer Störmengord mußte sich über seine Macht im klaren sein. Bevor er einen Planeten anflog, bedachte er gründlich die Folgen.
Einige Male erfolgte seine Bebenwarnung viel zu spät. Mit einer frühzeitigen Prognose hätte er Millionen Leben gerettet.
Aber was sollte er tun? Die Frage, wann eine Warnung zu erfolgen hatte, war nicht eindeutig zu beantworten.
Leute wie Störmengord wurden mit Opfern ohne Zahl konfrontiert. In DaGlausch und Salmenghest suchten sie geradezu das größte Elend.
In einem schmerzhaften Prozeß lernte er, das Leid der Welt zu ignorieren. Für ihn war es eine Überlebensfrage. Anfangs hatte er noch geschaut, ob er den Opfern und Flüchtlingen helfen konnte. Aber nicht mehr nach dem zwanzigsten Mal. DaGlausch und Salmenghest steckten so sehr voller Unglück, daß er sich daran gewöhnte.
Wenn er nicht zerbrechen wollte wie so viele vor ihm, mußte er seine Ideale vergessen lernen.
Seine Mission bestand darin, eines fernen Tages das große Ganze zu retten, nicht die einzelne Zivilisation.
Hin und wieder flog er mit der GLIMMER nach Zophengorn. Er lernte andere Forscher kennen, freundete sich lose an, durchschaute ganz allmählich das System, nach dem die Gilde funktionierte.
Ganz unten standen die Forscher, deren Arbeit den Datenberg im Empirium wachsen ließ. Dann kamen die Leute im Ring - und ganz oben stand das Direktorium.
In ihm erwachte eine unbestimmte, schwer zu deutende Unzufriedenheit. War es wirklich schicksalhaft, daß alle Anstrengungen an kein Ziel führten? Mußte es wirklich viele tausend Jahre dauern, bis der Kessel enträtselt war?
Eismer Störmengord richtete eine Petition an das Direktorium.
Sein Vorschlag lautete, den Bebenforschern ihr vollständig autonomes Handeln zu nehmen. Statt dessen sollte ein fester Plan eingeführt werden, nach
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