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1913

1913

Titel: 1913 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Illies
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Schwester Else in Irschenhausen in Oberbayern. In das kleine behagliche Sommerhaus aus Holz hatte sich Else, Gattin des Münchner Professors Jaffé, immer mit ihrem Geliebten Alfred Weber zurückgezogen, dem Bruder von Max Weber, bei dem Else einst promoviert hatte. Zum Einzug schenkte sie ihrer aus England zurückgekehrten Schwester ein fesches Dirndl, damit ihre weiblichen Reize auch zur Geltung kommen. Darin waren sich die Schwestern immer einig, selbst zu jener Zeit, als sie beide die Geliebten des Freud-Jüngers, Kokainisten und großen Verführers Otto Gross waren. Zwar bekam nur eine, Else, einen Sohn von ihm, aber er hieß genauso Peter wie der eheliche Sohn, den Otto Gross im selben Jahr mit seiner Frau bekam, die Frieda hieß, genau wie seine zweite Geliebte. Ein großes Durcheinander also in diesem Paradies der freien Liebe.
    Lawrence und Frieda Weekley, geborene von Richthofen, kämpfen auch nach der Flucht viel um ihre Liebe – es verbindet sie, wie Lawrence einmal schreibt, »ein Band der Sympathie, von reinem Hass geknüpft«. In diesem Frühsommer in Irschenhausen allerdings erleben sie ihre beste Zeit. Abgeschieden vom Rest der Welt im Isartal, hinter sich die Tannen und die Berge und vor sich der weite Blick, erholen sie sich von der Flucht und schöpfen neue Kraft. Bald schon rühmt Lawrence Friedas »geniale Begabung zum Leben«. Genauso genießt er offenbar ihre geniale Begabung zur Liebe. Denn als er später sein berühmtestes Buch, die erotischen Geschichten von »Lady Chatterley’s Lover« veröffentlicht, da hat die adlige Verführerin große Ähnlichkeit mit Frieda von Richthofen. Nur Irschenhausen kommt nicht namentlich vor, das ist als Lokalität für einen solchen Roman nicht romantisch genug.
    Im Juni 1913 jedoch werden beide unruhig. D. H. Lawrence will nach England, um den Triumph zu genießen, den die Veröffentlichung seines Buches »Söhne und Liebhaber« ausgelöst hat. Und seine Geliebte will zurück, um ihre Kinder zu sehen. Denn sie hat ihre drei Sprösslinge im Alter von 13 , elf und neun Jahren hinter sich gelassen, um mit dem jungen Schriftsteller durchzubrennen. Und nun zerreißt es ihr das Herz. Sie brechen Ende Juni auf nach England. Kaum gelingt es Lawrence, sie wieder von ihren geliebten Kindern fortzureißen. Sie verabreden sich in Italien. Doch sie glaubt ihm seine Liebesschwüre nicht. Da verspricht er ihr, durch die ganze Schweiz bis nach Italien zu laufen. Das macht er dann wirklich. Und sie glaubt ihm bis auf weiteres.
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    Die Zeitschrift »Der Brenner« aus Innsbruck macht eine »Rundfrage über Karl Kraus«. Dazu schreibt im Juni Arnold Schönberg die schönen Worte: »In der Widmung, mit der ich Karl Kraus meine Harmonielehre schickte, sagte ich ungefähr: ›Ich habe von Ihnen vielleicht mehr gelernt, als man lernen darf, wenn man noch selbständig bleiben will.‹ Damit ist gewiss nicht der Umfang, wohl aber das Niveau der Schätzung festgestellt die ich für ihn habe.« Ein ganz seltenes Dokument der stillen Bewunderung, der Wertschätzung, der wohlgesetzten Worte aus diesem überhitzten Jahr.
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    Das Deutsche Reich feiert im Juni das 25 -jährige Regierungsjubiläum von Kaiser Wilhelm Zwei. Ein seltsamer Kaiser, vor allem interessiert an Schiffen und dem Dekorum. Er kümmerte sich früh persönlich um Erweiterungen des Hofzeremoniells und neue Kleiderordnungen. Als sein Thronjubiläum ansteht, nimmt er die gesamte Planung in seine Hand – die Inszenierung des Ereignisses genauso wie die Auswahl der Geschenke will er selbst bestimmen. Auch dass er in den Reden als »Friedenskaiser« gerühmt wurde, war seine Idee – selbst wenn der Reichstag zwei Wochen später die Aufstockung der Armee beschließt. Und auch wenn bei den Galatafeln die alte Sitzordnung noch beibehalten wurde, also der Reichskanzler hinter der kaiserlichen Familie und den Bundesfürsten platziert war, die anderen Abgeordneten sogar weit hinter irgendwelchen unbedeutenden Hofchargen – die Machtverhältnisse im Reich waren längst nicht mehr so eindeutig. Wenn keine Tischordnung die Hierarchie vorgab, musste Wilhelm II . schwer um seine politische Position innerhalb der konstitutionellen Monarchie kämpfen. Einen echten Machtinstinkt hatte er nicht. Er suchte vielmehr die Auftritte in der Öffentlichkeit, denn das beherrschte er, burschikos und volksnah gab er sich dann, ein Freund des Militärs, der einfachen Freuden und ein Feind der modernen französischen Kunst. Er liebte die

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