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1913

1913

Titel: 1913 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Illies
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an die deutsche Studentenschaft«, wodurch seine Thesen eine noch größere Verbreitung erfahren. Parallel erscheint die vierte Auflage seines Buches. Und so dürfen die Intellektuellen in Berlin, in München und Wien in diesem Frühsommer, als vom Balkan immer irritierendere Zwischengeräusche nach Norden dringen, beruhigt in dem Buch des britischen Publizisten lesen. Angell legte dar, dass das Zeitalter der Globalisierung Weltkriege unmöglich mache, da alle Länder längst wirtschaftlich zu eng miteinander verknüpft seien. Und Angell sagt, dass neben den wirtschaftlichen Netzwerken auch die internationalen Verbindungen in der Kommunikation und vor allem auch in der Finanzwelt einen Krieg sinnlos machen. Angell argumentierte so: Selbst wenn das deutsche Militär sich vielleicht an England messen wolle, gebe es »keine bedeutsame Einrichtung in Deutschland, die nicht schweren Schaden leiden« werde. Deshalb werde der Krieg verhindert, weil dann »der Einfluss der gesamten deutschen Finanzwelt gegenüber der deutschen Regierung zum Tragen kommen würde, um eine für den deutschen Handel ruinöse Situation zu beenden«. Angells These überzeugte die Intellektuellen in der ganzen Welt. David Starr Jordan, der Präsident der Stanford University, spricht nach der Lektüre von Angell 1913 die großen Worte: »Der große Krieg in Europa, der ewig droht, wird nie kommen. Die Bankiers werden nicht das Geld für solch einen Krieg auftreiben, die Industrie wird ihn nicht in Gang halten, die Staatsmänner können es nicht. Es wird keinen großen Krieg geben.«
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    Parallel dazu wird Wilhelm Bölsches großes dreibändiges Werk »Die Wunder der Natur« gefeiert, das in der englischen Ausgabe, die 1913 herauskommt, den schönen Titel »The Triumph of Life« trägt. Bölsche, einem Stilisten von Gnaden, ging es darum, die Moderne und das heißt: die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften ein wenig abzumildern, ein wenig Puderzucker darauf zu streuen, damit sie dem großbürgerlichen Publikum weiterhin mundeten. Statt Darwin zu belegen, war sein Ziel die Darstellung der »Mysterien der Universumspracht«. So entstand manch ungewöhnliche biologisch-moralische Theorie. Begeistert nahm das Publikum im Jahre 1913 etwa Bölsches Beweisführung auf, dass alle höheren Lebewesen im Grunde nett zueinander seien. Dass Kämpfe in der Tierwelt nur dann auftreten, wenn der Gegner vorsätzlich gereizt wird. Nicht nur die Staaten also werden künftig keine Kriege mehr führen, sondern auch die Tiere nicht. So die tröstliche Botschaft Wilhelm Bölsches. Kein Wunder also, dass er eine bevorzugte Position einnahm im gutsortierten Bücherregal der Kaiserzeit. Kurt Tucholsky beschrieb entsprechend die Grundausstattung der großbürgerlichen Bibliothek: »Heyse, Schiller, Goethe, Bölsche, Thomas Mann, ein altes Poesiealbum …«. Im Grunde war Bölsche auch ein Poesiealbum – er trug friedliche Verse ein in das Stammbuch der Moderne, erträumte sich eine Natur, in der sich die Tiere so friedlich und anschmiegsam bewegen wie auf den Gemälden von Franz Marc.
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    Unruhig, schwitzend reist der morphiumsüchtige Dichter Georg Trakl im Juni 1913 zwischen Salzburg und Innsbruck hin und her, als jage ihn der Lenz’sche Wahnsinn. Er will endlich wieder Grete treffen, die Geliebte seines Leibes, seine leibliche Schwester, doch er verpasst sie; er will Adolf Loos treffen, den Verehrten, den Anti-Ornamentiker, doch er verpasst auch ihn. Er hetzt nach Wien, beginnt im Kriegsministerium eine unbezahlte Aushilfsarbeit, ein paar Tage später meldet er sich krank. Er hat die dumpfe Ahnung, vielleicht die Gewissheit, dass Grete, mit der nur er zusammen sein darf, ihn mit seinem Freund Buschbeck betrügt. Er schreibt an ihn: »Vielleicht ist Dir bekannt, ob meine Schwester Gretl in Salzburg ist.« Trakl verkriecht sich in Drogen, Leid und Alkohol und steigt hinab »in die Hölle selbstgeschaffener Leiden«. Er dichtet und vernichtet, seine Korrekturen auf den losen Blättern wirken wie Wundmale, hineingekratzt in das Papier wie in rohes Fleisch. Er schreibt das Gedicht »Die Verfluchten«, darin die Strophe:
    Die Nacht ist schwarz. Gespenstisch bläht der Föhn
    Des wandelnden Knaben weißes Schlafgewand
    Und leise greift in seinen Mund die Hand
    Der Toten. Sonja lächelt sanft und schön.
    Ludwig von Ficker, sein väterlicher Freund und Mäzen, in dessen Häusern und Schlössern er in diesem Jahr Unterschlupf findet, druckt Trakls Gedicht sofort in

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