1913
Unteroffizieren überprüfen wollte? Asta Nielsen während einer Drehpause in Babelsberg?
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Männerphantasien, Teil II : Zwei Traumgebilde nach einer Zugreise: Oswald Spengler, der alte Chauvi, macht keinen Urlaub, er denkt über den »Untergang des Abendlandes« nach und über alle diese Frauen überall. »Ich vertrage den geistigen Umgang mit Frauen nur in kleinen Dosen. Selbst wenn ein Mädchen so beschränkt wie eine Frauenrechtlerin und so geschmacklos wie ein Kunstweib ist.« Er sitzt wieder zu Hause in München in seiner Wohnung und findet sie hässlich, die Möbel vor allem: »Jedes Möbel muss es ertragen können, dass man es so streng abwägt wie einen Manet oder einen Renaissancebau. Alte Möbel vertragen das. Neue wirken dann in ihrem Entwurf wie erste Fingerübungen.« Dann erinnert er sich doch noch einmal an seine Zugfahrt und fügt an: »Gut ist nur, woran diese verblödeten Stilhuber ihr ›Können‹ nicht ausgelassen haben: Lokomotiven etc.« Auch Gottfried Benn fährt in diesem Sommer mit der Eisenbahn. Auch er wird durch die Frauen in den Abteilen zu einem Testosteronschub herausgefordert. Er schreibt in sein kleines Notizbuch über seine Erlebnisse im D-Zug zwischen Berlin und der Ostsee diese großen Verse: »Fleisch, das nackt ging. / Bis in den Mund gebräunt vom Meer.« Dann weiter: »Männerbraun stürzt sich auf Frauenbraun: / Eine Frau ist etwas für eine Nacht. / Und wenn es schön war, noch für die nächste! / Oh! Und dann wieder dies Bei-sich-selbst-Sein!« Auch Benn also verträgt wie Spengler den Umgang mit Frauen nur in kleinen Dosen. Dann steigt auch er wieder glücklich hinab in die Keller seiner Einsamkeit.
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Kaiser Franz Joseph sucht die Zweisamkeit. Untergehakt mit Frau Katharina Schratt geht er durch die weitläufigen Parkanlagen von Bad Ischl, seinem Urlaubsort seit eh und je. Und auch Frau Schratt ist seine Begleiterin seit eh und je, sie kennen sich aus den Tagen, als Sissi noch am Leben war. Und doch soll sie, so ist es der kaiserliche Wille, nie seine Geliebte werden, sondern nur seine Begleiterin. So verbringen die beiden, die dreißig Jahre Altersunterschied trennen, gemeinsam die Tage. Nachts aber möchte der Kaiser gerne allein sein. Doch schon am frühen Morgen gegen sieben verlässt er die kaiserliche Villa und geht hinüber zu Frau Schratt in ihre Villa »Felicitas«, wo sie gemeinsam eine Tasse Kaffee trinken. Dann mischt er sich unter die Kurgäste. Meist wird er gar nicht erkannt, da er seine Orden im Urlaub nicht trägt, auf seine Leibwache verzichtet und so aussieht wie irgendein alter, knorriger pensionierter Offizier. Er will sehr gerne sehr gewöhnlich sein. Aber er ist nun mal leider Kaiser. Also fügt er sich dem. Doch er schreibt an Frau Schratt Briefe von schönster Alltäglichkeit. Ach, so klagt er einmal, wie mir die Hühneraugen schmerzten, als ich beim Bankett aufstehen musste, um einen Toast auf den König von Bulgarien auszubringen.
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Der bulgarische König selbst hat gerade ganz andere Sorgen: Am 3 . Juli eskaliert der Streit zwischen Serbien und Bulgarien über Gebiete in Mazedonien. Serbien erklärt den Krieg – und die Türken, Griechen und Rumänen stellen sich ebenfalls gegen Bulgarien. Der zweite Balkankrieg ist da. Ständig erreichen neue Depeschen den Kaiser in Bad Ischl. Doch er will nicht gestört werden von diesen Heißblütern im Balkan. Er geht hinüber zu Frau Schratt und trinkt einen Tee.
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Am 13 . Juli reist Freud mit seiner geliebten Tochter Anna nach Marienbad, um sich zu erholen und innerlich zu stärken für den großen Kampf. Den » IV . Internationalen Psychoanalytischen Kongreß« in München Anfang September, wo er erstmals wieder auf C. G. Jung und die abtrünnigen Zürcher Analytiker treffen wird. Marienbad hilft Freud natürlich überhaupt nicht. Weder gegen seinen Rheumatismus in seinem rechten Arm noch gegen seine Depression. Er schreibt: »Ich kann kaum schreiben, wir hatten hier eine schlechte Zeit, das Wetter war kalt und nass.«
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Ende Juli geht Rilke kurz nach Berlin und sieht dort im Museum den neugefundenen Amenophis-Kopf: »Ein Wunder, ich erzähle Dir«, berichtet er aufgeregt an Lou Andreas-Salomé. Es sind die Ausgrabungen von Tell el-Amarna aus der von James Simon finanzierten Expedition. Die ganze Stadt gerät in ein Ägypten-Fieber angesichts der Schönheit der Skulpturen. Das »Berliner Tageblatt« schreibt aufgeregt über Amenophis: »Ein Moderner, im verwegensten Sinn
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