1913
Verein um Corinth ein neues Gebäude bauen, um sich wieder Raum und Ruhm zu verschaffen. Als Corinth in Tirol von der Idee erfährt, dass dies Peter Behrens bauen soll, der Architekt und Designer, der für die AEG Häuser, Lampen und Tische entwirft, gesteht er, dass er diesen zwar nicht mag, aber er erkennt den möglichen Imagegewinn, denn Behrens sei »modern«. Doch eigentlich sind ihm hier in Tirol bei Dauerregen die ganzen Querelen in der fernen Heimat zuviel. Er denkt »mit Grauen an Berlin« und liest tagelang in Bernhard Kellermanns Buch »Der Tunnel«, jenem Science-Fiction-Bestseller des Jahres, der die unterirdische Verbindung zwischen Europa und dem amerikanischen Kontinent beschreibt. Corinth schreibt dazu die kürzeste und prägnanteste Rezension des Jahres: »Gutes Buch, ich möchte auch mal nach America.« Aber es hilft nichts: Im August muss Corinth zurück nach Berlin.
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Käthe Kollwitz ist mit ihrem Mann Karl ebenfalls in Tirol, es gibt fortwährende Streitigkeiten, es regnet in Strömen, sie können nicht raus in die befreiende Natur, sie sitzen dumpf auf ihren Pensionsstühlen und sind tief unglücklich miteinander. Nach den Sommerferien fällt sie in eine »große Depression«. Sie hat Selbstmordgedanken, verzweifelt über ihr Leben und ihr künstlerisches Werk, ist unzufrieden mit ihren ersten plastischen Versuchen. Und dann fragt sie ihr Tagebuch: »Ich und Karl?« Antwort: »So eine dolle Liebe, die hab ich überhaupt nicht kennengelernt.«
Karl interessiert sie nicht mehr. »Immer derselbe, bei dem man jede Nuance schon kennt, das kann die schlappere Sinnlichkeit nicht mehr reizen. Man müsste ganz andere Kost haben, um wieder starken Appetit zu bekommen.« So das Sehnsuchtsbekenntnis und die Freiheitserklärung der Käthe Kollwitz im Sommer 1913 . Sie sucht Trost bei Strindberg, liest immerfort seine Dramen: wilder Geschlechterhass, dumpfes Beisammensein, das hilft ihr, sie fühlt sich nicht allein. Sie erzählt ihrem Sohn davon, sagt, der Inhalt von Strindberg sei, wie sich Paare »zerfleischen, hassen«. Dumpf sitzt Kollwitz am Fenster, blickt in den Regen und schreibt in ihr Tagebuch: »Der Sommer geht hin, ohne dass ich ihn fühle.«
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In Wien hat Oskar Kokoschka das Aufgebot für seine Heirat mit Alma Mahler bestellt. Am 19 . Juli soll es sein, im Rathaus von Döbling, dem Bezirk, in dem die Eltern der Braut leben. Er ist zu Carl Moll auf die Hohe Warte gegangen, um um die Hand Almas zu bitten. Der hat nichts dagegen. Aber als Alma am 4 . Juli von Oskars Plänen erfährt, gerät sie in Panik, packt ihre Koffer und flieht, will nach Marienbad. Kokoschka stellt ihr nach, erwischt sie am Bahnhof, schreit, bebt, sie muss das Fenster noch einmal öffnen, da schiebt Kokoschka ihr ein Selbstporträt zu, befiehlt ihr, es in ihr Hotelzimmer zu hängen, um all die anderen Männer abzuwehren. Und kaum ist sie weg, schickt er ihr schon den ersten Brief hinterher: »Bitte, mein Almili, schau niemanden an, die Männer dort werden Dich immer anstieren.« Und dann: »Warum hast Du denn gelacht, wie ich gesagt habe: werde gesund! Ich hätte Dich so gern noch gefragt, aber da bist Du schon weggefahren.« Ja, warum hat sie wohl gelacht? Alma spürte wohl in den wenigen hellen Momenten ihrer Beziehung (die die dunkelsten waren), dass sie nicht zusammen gesund werden konnten, weil sie krank vor Liebe waren. Oder wie es Kokoschka zwei Tage später in seinem nächsten Brieflein ausdrückt: »Mir ist es z.B. unbehaglich, dass Dich so ein Halunke von Arzt betastet, dass Dich eine Kellnerin in unvollständiger Toilette oder gar noch im Betterl sieht und so weiter.« Sie erträgt diese ganzen Briefe, genießt sie vielleicht sogar, schreibt ihm aber aus Franzensbad, sie komme erst wieder, wenn er endlich sein Meisterwerk fertig habe. Sie nennt ihn einen »Schlappschwanz«, und »verjudet«, das sei er auch. Kokoschka ist erzürnt und reist kurzerhand nach Franzensbad – als er im Hotel ankommt, ist Alma nicht da. Und über ihrem Bett hängt nicht sein Selbstporträt, wie er es ihr befohlen hat. Als sie von ihrem Spaziergang zurückkommt, bricht ein Sturm aus ihm los. Er wütet gegen Alma, trommelt mit den Fäusten auf ihr Bett und springt in den nächsten Zug nach Wien. Der Hochzeitstermin verstreicht. Und dann, noch hängt der Schweißgeruch von Kokoschka in ihrem Hotelzimmer, schreibt Alma, diese Taktikerin, einen Brief nach Berlin. Sie möchte wissen, welche Chancen sie noch hat bei Walter Gropius,
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