192 - Das Monster in mir
Arbeitszimmer. Das Ding befand sich in einer glasklaren Flüssigkeit, die dem Verfall erfolgreich entgegenwirkte.
Ein unförmiges Stück Fleisch, das Dr. Lancaster aus einem Menschen herausoperiert hatte, das jedoch nicht von einem Menschen – oder sonst einem irdischen Wesen – sein konnte.
Wenn er die Operation nicht selbst vorgenommen hätte, hätte er angenommen, irgend jemand hätte ihm dieses Ding untergejubelt, doch diese Möglichkeit war mit absoluter Sicherheit auszuschließen.
Während des Tages hatte er die zweite Versuchsreihe skizziert. Er legte diesen »Fahrplan« auf den Schreibtisch, zog das Jackett aus und krempelte sich die Hemdsärmel hoch.
Er bereitete verschiedene Tinkturen und Gefäße vor. Auch mit Gasen unterschiedlichster Art und Wirkung sowie mit Elektroschocks wollte Jordan Lancaster heute arbeiten. Es würde eine lange Nacht werden, aber das störte ihn nicht. Die Wissenschaft fragte nach keiner Uhrzeit.
Das Ding war länglich und rund, wie der Finger eines Kleinkindes. Und es war leblos. Jedoch nicht tot. Ein Phänomen, das sich Dr. Lancaster bis jetzt noch nicht erklären konnte.
Er hoffte, im Laufe der Nacht zu begreifen, was ihm im Augenblick noch unbegreiflich war.
Vorsichtig öffnete er das Glas, in dem das Ding schwamm.
Mit einer langen Pinzette holte er es heraus und betrachtete es von allen Seiten. Dann legte er es auf eine Glasplatte.
Da er in der letzten Nacht nur wenige Stunden geschlafen hatte, wollte ihn heute die Müdigkeit übermannen. Nachdem er zweimal kräftig gegähnt hatte, beschloß er, sich einen starken Mokka zu kochen.
Er ließ das Ding auf der Glasplatte liegen und begab sich in die Küche. Während er wartete, bis der Mokka fertig war, überlegte er sich die nächsten Schritte des Experiments etwas genauer, um Zeit zu sparen.
Eigenartig. Seit er dieses Ding heimgebracht hatte, fühlte er sich in seinem Haus nicht mehr allein.
***
Das Abendessen war hervorragend gewesen. Es hatte gefüllte Hühnerbrust mit Reis und Salat gegeben. Davor eine dicke Gemüsesuppe und danach, als Dessert, Vanille- und Schokoladeneis, Der Aufenthalt in Dr. Jordan Lancasters Privatklinik entwickelte sich für mich zur reinsten Mastkur.
Vicky Bonney und Noel Bannister waren bis 18 Uhr bei mir gewesen. Dr. Lancaster hatte sich meine Wunde noch einmal angesehen, bevor er nach Hause gegangen war, und zufrieden nickend gemeint, daß ich mich allmählich seelisch auf meine Entlassung vorbereiten könne.
Das war nicht nötig. Mir gefiel es zwar bei Dr. Lancaster, aber draußen war ich noch ein kleines bißchen lieber.
Nach der Abendtoilette ging ich zu Bett. Ich hatte kaum Beschwerden, und es wäre eigentlich nicht unbedingt nötig gewesen, den Arm in der Schlinge zu tragen. Ich tat es nur, um ihm die größtmögliche Schonung angedeihen zu lassen. Er würde es mir mit einer rascheren Heilung danken.
Es gab im Haus eine reich sortierte Bibliothek. Dort hatte ich mir ein Buch ausgesucht. Das schlug ich nun auf, aber ich kam nicht zum Lesen, denn die Tür öffnete sich, und Schwester Rose trat ein.
»Mein Augenstern«, sagte ich lächelnd.
Sie senkte verlegen den Blick. »Sagen Sie doch nicht so etwas, Mr. Ballard.«
»Warum nicht? Wächst einem hier eine lange Nase, wenn man die Wahrheit sagt?«
Sie sah mich unter seidigen Wimpern an. »Vielleicht sollte ich es nicht sagen, aber ich widme mich nicht allen Patienten so wie Ihnen, Tony?«
»Ach… nicht?« Ich musterte sie erstaunt.
Patienten verlieben sich häufig in die Ärztin, die sie betreut, oder in die Krankenschwester, die sie versorgt. War es hier umgekehrt? Hatte sich Schwester Rose in mich verliebt?
Das wäre mir sehr unangenehm gewesen. Nicht, daß es meiner männlichen Eitelkeit nicht geschmeichelt hätte. Wer kommt nicht gern gut an beim weiblichen Geschlecht? Und Schwester Rose war ein bildhübsches Mädchen. Aber ich hatte Vicky, und daran sollte sich nichts ändern.
Rose seufzte. Es klang sehnsüchtig.
Sei auf der Hut, Tony! warnte ich mich.
Rose konnte nicht wissen, wie sehr ich Vicky liebte und daß es mir deshalb nicht schwerfiel, ihr treu zu sein. Arme Rose. Sie würde eine Enttäuschung erleben. Ich hätte sie ihr gern erspart.
»Haben Sie noch irgendeinen Wunsch, Tony?« erkundigte sie sich.
Ich sah ihr an, daß sie bereit war, mir jeden Wunsch zu erfüllen.
»Nein«, sagte ich schnell. »Es ist alles bestens. Ich bin wunschlos glücklich.«
Das machte sie traurig. Sie wölbte mir ihren
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