194 - Die Hölle der Erkenntnis
zu schweigen.
»Ihr seid die Auserwählten!«, fuhr Gauko’on fort. »Ein Volk von Gedankenmeistern und Wächtern, bereit, dem HERRN zu dienen bis zum Tag der großen Schlacht! Seit der Feind sich anschickt zu erwachen, hat der HERR euch rufen lassen, damit ihr euch hier am Uluru versammelt, um IHM beizustehen. Denn auch der Feind hat eine Armee um sich geschart…!«
Verstohlen blickten Rulfan und Matt Drax nach links und rechts und hinter sich. Die Anangu hockten da wie zu Granit erstarrt. Die Telepathen lauschten mit vor dem Mund oder vor der Brust gefalteten Händen. Manche hatten die nassen Augen geschlossen und wiegten ihre Oberkörper hin und her, wie es auch die beiden anderen Greise oben am Feuer taten. Dutzende von Männern und Frauen hatten sich bäuchlings auf den Boden geworfen und bohrten die Stirn in den Grasboden. Wie berauscht wirkten die Leute.
Matt Drax spürte, dass jemand ihn beobachtete – sein Blick begegnete dem von Ulros. Hass sprühte aus den dunklen Augen des neuen Ersten Kriegers. Schaudernd wandte der Mann aus der Vergangenheit sich ab und konzentrierte sich wieder auf die Worte des alten Schamanen. Gauko’on ballte die Fäuste und warf sie über den Kopf, als wollte er dem Himmel drohen.
»… und nun hört, ihr Gedankenmeister und Diener des Ahnen: Wir wissen, dass der Feind bereits zum Angriff rüstet, denn er hat den Ersten Wächter des Uluru entführt!«
Ein Raunen ging durch die Menge, einzelne Rufe des Erschreckens wurden laut. Matt war wie elektrisiert: Deswegen also sah man den verfluchten Daagson nicht mehr!
»Wer hat ihn entführt?«, zischte er Rulfan zu. Der Albino zuckte ratlos mit den Schultern.
Die Menge der Telepathen schienen derartige Fragen nicht zu belasten. Sie schüttelten die Fäuste, schrien vor Wut, fluchten oder forderten Vergeltung.
Der Greis an der Kante des roten Steinblocks hob die Rechte, und das Wutgeschrei ebbte ab. »Hört mir zu, ihr Auserwählten des Ahnen!«, rief er von seinem steinernen Podest herab. »Ihr sollt wissen, welche Kreatur den Ersten Wächter des Uluru in einen Hinterhalt gelockt und überwältigt hat! Ihr sollt die Truppen des Feindes erkennen, wenn sie euch entgegen treten! Sie haben keine menschliche Gestalt – sie gleichen aufrecht gehenden Dornteufeln, nur dass ihre Haut nicht gepanzert, grau und zerklüftet ist, sondern silbrig und voller feiner Schuppen…!«
Totenstille herrschte plötzlich. Das Entsetzen stand in den Gesichtern der Telepathen geschrieben.
»Daa’muren«, flüsterte Matt Drax.
***
Sie verließen die Steuerzentrale des Wandlers: Est’sil’bowaan, Liob’lan’taraasis, Ordu’lun’corteez und der Sol. Auf dem Weg in die äußeren Bereiche der Raumarche schlossen sich ihnen andere Daa’muren an, die an den Kreuzungen und Abzweigungen der Rampe warteten.
Als sie die Verteilergrotte erreichten, waren die energetischen Wellen aus dem Inneren des Wandlers bereits so stark, dass der Sol sich nicht einmal mehr besonders konzentrieren musste, um sie wahrzunehmen. Ihm war sogar, als würde er sie auf Schritt und Tritt spüren. Und was ihn bei aller Aufbruchsstimmung und Euphorie noch immer beunruhigte: Das Energiemuster berührte ihn – er jedoch war nicht in der Lage, das Energiemuster zu berühren und so in es einzudringen, dass er seine Struktur und sein Wesen erforschen konnte.
In der Verteilergrotte sprangen Späher aus Ordu’lun’corteez’ Gruppe aus dem Deckenschacht und schlossen sich ihnen an. (Thgáan fliegt bereits in Sichtweite), meldete einer von ihnen. (Grao’sil’aana steuert direkt den Wandler an. Nicht mehr lange, und er wird landen.) An die siebzig Daa’muren folgten ihrem Sol, als er der Außenhülle des Wandlers entgegen schritt. Eine feierliche Stimmung lag über allen. Nicht einmal Est’sil’bowaan wagte noch, sie durch mutlose Erwägungen zu trüben. Bilderströme des Aufbruchs und der Zuversicht berührten die Aura des Sol von allen Seiten. Liob’lan’taraasis neben ihm schwebte schier vor Freude. Und das ungewohnte Energiewellenmuster aus dem Herz des Oqualun war allgegenwärtig und summte und raunte und tönte. Es klang, als würde das uralte, zerklüftete Magmagestein des Wandlers vibrieren und pulsieren.
Aus allen Nischen, Kaminen und Seitengrotten tauchten Daa’muren auf und schlossen sich dem Gefolge des Sol an.
Über hundert strömten bald hinter ihm her. Das grüne Licht der Deckenkristalle vermischte sich mehr und mehr mit dem abendlichen Dämmerlicht,
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