Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
drohend, steil, schroff, einsam, verwaist und verwittert, und das Hochplateau lag flach und leer. Ein schwarzer Himmel mit Myriaden von Sternen hing über uns. Wir zitterten vor Kälte und standen ergriffen still. Das Tote Meer schimmerte in mildem Schein, der nicht von der Sonne kam, denn die war noch nicht aufgegangen. Wir legten einen Stein nieder, in den wir »Wenn ich dich je vergesse, Diaspora« geritzt hatten, und sagten etwas darüber, wie die Deutschen die Juden vernichtet hatten. Wir kannten keine Einzelheiten. Den Cousin meines Vaters sollte ich erst später treffen, und über die Konzentrations- und Vernichtungslager wussten wir nur sehrwenig. Ein Palmach-Mann, der uns begleitete, zog seine Pistole und gab einen Schuss in die Luft ab, der Knall zerriss die Stille, und es war erhebend, eine hebräische Pistolenkugel auf die Feinde Israels abgefeuert zu sehen.
    Ich verließ meine Kameraden, die vor Müdigkeit umfielen und trotz der scharfen Wüstenkälte einschliefen, und schlenderte weg. Die Verdunklung, die während des Großen Krieges im Land geherrscht hatte, war vor einiger Zeit aufgehoben worden, und berauscht sah ich auf die wunderschönen, funkelnden Lichter in der Ferne: Hebron, Bethlehem, Bet Jalla vor allem, aber auch Jerusalem. Der prächtige nächtliche Anblick bewegte mich. Ein Kamerad – ich weiß nicht mehr, welcher – suchte mich und fand doch wahrlich einen Blödhammel an der Felskante stehen. Ich deutete auf die Lichter und sagte, das sähe aus wie der Weihnachtsabend, den ich in dem Film Ist das Leben nicht schön? im Migdalor-Kino gesehen hätte, mit James Stewart, der in seiner Gutherzigkeit meinte, sein Leben für seine Familie opfern zu müssen. Verzweifelt beklagte er sein vermeintlich verlorenes und vergeudetes Leben und betrat schließlich die Brücke über den eiskalten Fluss, um in den Tod zu springen. Genau in dem Augenblick tauchte Clarence auf, ein tollpatschiger Schutzengel, der ihm helfen sollte. Er hatte noch keine richtigen Flügel und musste eine gute Tat tun, um sie sich zu verdienen. Clarence ließ sich in den Fluss fallen und schrie um Hilfe, und Stewart hörte ihn, sprang hinterher in die eiskalten Fluten und rettete ihn. Nun spulte der Engel Stewarts ganzes Leben zurück, und Stewart sah, wie positiv er den Lebensweg vieler Menschen doch verändert und wie viel Gutes er ihnen erwiesen hatte und dass er keineswegs egoistisch gewesen war. Und so bereute er seinen Ausspruch »ich wünschte, ich wär nicht geboren worden« und kehrte in die Wirklichkeitzurück, und alle, denen er im Leben geholfen hatte, strömten in sein Haus und brachten Geschenke mit, und all das am Weihnachtsabend, mit dem strahlenden Lichterbaum, den feinen Lichterketten, die in seinen Zweigen hingen, und dem großen Lichtschein, der einfiel, als das Glöckchen am Baum klingelte und Stewarts Tochter sagte, der Glockenklang verkünde, dass ein armer Engel Flügel erhalten habe.
    Der Kamerad staunte über diese Geschichte, die für ihn so gar nichts mit dem hebräischen Massada-Mythos zu tun hatte, mit der irrigen Entscheidung für den Tod, ganz ohne Baum und Glockenklang. Du spinnst, Yoram, rief er, was sollen Massada und Israels Heldentum denn mit einem beschissenen Film am Mughrabi-Platz zu tun haben? Ich entgegnete irgendwas, vielleicht, es bestände schon ein Zusammenhang, aber nur in meinem verdrehten Hirn. Massada saß mir tief und verstörend in den Knochen, ich befasste mich obsessiv mit der Verherrlichung des Todes um der Freiheit willen und auch mit dem Völkermord, dem Umstand, dass ein solches Volk sich mit Völkermord bestraft hatte. Meine Mutter war ja unter den ersten Sabres gewesen, die Massada erstiegen, nachdem Jizchak Lamdan sein Poem »Massada« veröffentlicht hatte. Lamdan, der sich mit Pogromen auskannte und an Volksrache dachte, hatte Massada zum Thema erhoben, während Juden früherer Generationen es ungern erwähnten. Als Jochanan Ben Sakkai sich im Jahr 70 in einem Sarg aus dem zerstörten Jerusalem schmuggeln ließ, mit Kot verschmiert, damit die Römer den Sarg nicht öffneten, bezichtigten ihn die Juden ja des Verrats an seinen Brüdern. Dabei wollte er mit seiner Bitte an die römische Führung, ihm das Lehrhaus in Javne zu überlassen, das Judentum vor dem Untergang retten, was er den Römern allerdings nicht auf dieNase gebunden hatte. Danach folgte das große Schlachten, der Massenselbstmord auf Massada, den die jüdischen Weisen zutiefst ablehnten. Nur der

Weitere Kostenlose Bücher