1948 - Roman
geniale Verräter Flavius Josephus hat die Geschichte der Juden neu geschrieben und das Geschehen auf Massada überliefert.
Aber der jüdisch-arabische Kampf brauchte Helden. Und da Raschi den jungen Leuten, die das Land Israel erobern wollten, schwerlich als Held dienen konnte, wurden die Selbstmörder von Massada zu Helden erhoben. Die Erez-Israelis begeisterten sich für den Selbstmord der Belagerten von Massada, die lieber tot als versklavt sein wollten, begeisterten sich für deren Anführer Eleasar Ben Jair und sahen in ihm den Vorreiter des zionistischen Mythos von »Tod oder Erstürmung des Berges«. In der schimmernden Dunkelheit auf der Bergfeste hoch über der Wüste zu stehen wurde zum mystischen Erlebnis ganzer Generationen.
Ich stand da und dachte, heute haben wir ja Chanukka, die langen Tage sind vorüber, und alle Welt zündet Lichter an, und da hörte ich einen Stein in den Abgrund poltern und fühlte mich straucheln. Ein Glück, dass der Kamerad mich packte und nach hinten zog, und ich sagte ihm, wenn ich noch einen kleinen Schritt vorwärts getan hätte, wäre ich ein stummer Stein am Fuß des Berges geworden.
Danach blickte ich wieder auf die schönen und großartigen Lichter der arabischen Städte und sagte, wenn du auf der Endlinie stehst, wie Gedichte damals unsere nationale Lage umschrieben, dann bist du wie die Juden, die am Ende ein Paradies vor Augen sehen. Und dann kam einer namens Nechemja angerannt und rief um Hilfe für seinen Freund von der Palmach. Der hatte eine Kugel aus der Pistole abbekommen, die er in der Hosentasche trug, weiler ein Mädchen begehrte, das er nicht hätte begehren sollen. Einer unserer Anführer rannte die zehn Kilometer zum Kibbuz Bet Ha-Arava, um Verbandszeug zu holen, und wir saßen da und drückten reihum auf das Handgelenk des Angeschossenen, damit er nicht verblutete, und erst rund fünf Stunden später kehrte der Läufer mit einem Sanitäter zurück. Wir stiegen zum Toten Meer ab und sahen einen Trupp britische Soldaten unten warten. Der Weg war nicht leicht, wir kamen weit nach Süden ab und landeten auf der jordanischen Seite des Toten Meers. Die Berge kesselten uns ein, und wir schwammen drunten, auf dem Rücken liegend, die Rucksäcke sprossen wie dicke Blumen auf unseren Bäuchen. Untergehen konnten wir ja nicht, aber das salzige Wasser brannte auf unserer Haut. Über uns erhoben sich die Gebirgszüge von Moab, zackige, dunkle Felsvorsprünge ragten stolz in die Finsternis hinter uns, eine Fledermaus schwirrte vorbei, ein Adler kreuzte am Himmel, und wir lachten, wollten nicht glauben, dass man tatsächlich auf dem Wasser liegen konnte, ohne unterzugehen. Neben mir schwamm ein Mädchen, wer sie war, weiß ich nicht mehr, sie streckte mir die Hand entgegen, und das war damals sehr ungewöhnlich. Ich blickte auf zu den Bergen, der Schein der dahinter aufgehenden Sonne ließ ihre Umrisse erstrahlen, und die wachsenden Wüstenschatten verwandelten alles in eine Oase der Schönheit, die mir irgendwie traurig erschien oder vielleicht überflüssig in diesem Licht, das die Finsternis überwand, und ich ergriff ihre Hand, blickte zu ihr hinüber, sie sah mich nicht an, aber mir wurde heiß. Ich wusste ja nicht genau, was der Dichter Natan Alterman gemeint hatte, als er diesen grauenhaften Begriff »Endlinie« schmiedete. Wenn du auf ihr stehst, siehst du angeblich das Paradies, aber auch umgekehrt.
Im Anschluss fuhren wir zurück nach Tel Aviv und gingen nach Hause, und meine Mutter weinte, weil sie gehört hatte, dass ich auf Massada beinah abgestürzt wäre. Ich war ein bisschen verliebt in das Mädchen, das mir die Hand entgegengestreckt hatte, aber als ich begriff, dass ich sie liebte, himmelte sie schon einen anderen an. In Tel Aviv badeten wir im Meer, übten Nahkampf am Jarkon, prügelten uns im Hadassa-Park und schwammen in dem runden Becken dort. Und wir tanzten Hora und Krakowiak und redeten über freie Alija und den Kampf gegen die Briten und über landwirtschaftliche Ausbildung und zionistisches Siedlungswerk, führten tiefschürfende Gespräche über das jüdische Schicksal, gegen das wir beherzt aufbegehren sollten, wie es der bedauernswerte Lehrer Gedaljahu Ben Chorin forderte, der dem perfiden Albion persönlich die Stirn zu bieten gedachte. Wir wollten rebellieren, ohne wirklich zu verstehen, wogegen. Wir lasen Plechanows Schrift Über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte , diskutierten, ob die Geschichte sich ihre Führer
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