1948 - Roman
Arabusch den Arsch ablecken, aber ich ließ nicht locker. Der Araber röchelte, und zum ersten Mal im Leben sah ich einen Menschen sterben. Ich sah, wie ihm das Leben durch Mund und Augen austrat, aus Augen, die trübe wurden, hervorquollen und nichts mehr sahen, und wie er zu röcheln aufhörte und starb.
Ich ging nach Hause. Triefte am ganzen Leib von dem Blut des ersten Toten, den ich gesehen hatte, eines bedauernswerten Arabers, der elend wirkte, aber auch wie einkleiner Sieger. Später, im Krieg, habe ich nicht wenige Araber umgebracht und viel Blut gesehen, aber das war mein erster Toter, und er musste grundlos sterben. Die Täter dachten sicher, sie würden den biblischen Amalek schlagen, man könnte den See Genezareth mit dem Blut des Arabers füllen. Ich kam niedergeschlagen nach Hause. Meine Mutter Sarah tröstete mich, und mein Vater Mosche sagte, hier geht’s wild zu, so ist das in Palästina. Ich trat auf den Balkon. Ein Schiff fuhr schwankend zum Tel Aviver Hafen. Vom Grundstück unten stieg Lagerfeuergeruch herauf. Die Gestalt des Cousins meines Vaters vermengte sich mit der des toten Arabers, und ich empfand Schmerz, ja mehr noch – Traurigkeit. Das machte mich zugänglich für die Predigten meiner Klassenkameradin Aviva, die mich beredete, den gemäßigten Jugendbund Hamachanot Haolim zu verlassen und dem Haschomer Hazair beizutreten, zum einen, weil der einen binationalen Staat propagierte, und zum anderen, um Vorfälle der Art zu vermeiden, wie ich ihn ihr von dem toten Araber berichtet hatte.
Einmal, auf dem Heimweg vom Neuen Gymnasium in der Hajarkon-Straße, trafen wir einen Freund, der Aviva liebte und durch meine Vermittlung ihr Herz zu gewinnen hoffte. Er war ein großer Kerl und hieß Nachum. Er hatte etwas Urwüchsiges, Bodenständiges, das ich nie gehabt habe, war wahrhaftig, besonnen und arm. Er prahlte nicht, schrie nicht rum, gab keine politischen Erklärungen ab und hasste Gefühlsduselei, und während wir alle aufs Gymnasium gingen, arbeitete er im Hafen, um seine Familie zu ernähren.
Eines Tages lud er mich in den Hafen ein. Alles war verrammelt. Stacheldraht. Die Laternen tagsüber ausgeschaltet. Britische Wachsoldaten. Schussbereite Maschinengewehrein alle Richtungen. Er hatte mir einen Passierschein besorgt, ein untersetzter englischer Polizist kontrollierte mich gründlich, dann stieg ich mit Nachum in einen der Schlepper, die die mit Fracht und Passagieren beladenen Kähne von den Schiffen an die Kais und zurück zogen. Ich trat praktisch die erste Auslandsreise meines Lebens an. Ein fremder Geruch hing in der Luft. Wir kletterten an Deck eines Frachters. Dort herrschte eine Atmosphäre, die ich nicht kannte, es waberten Gerüche, die ich nicht einordnen konnte. Männer mit seltsamen Mützen liefen hin und her, einige dunkelhäutig, in schweren Mänteln. Fremde Sprachfetzen schwirrten durch den Nebel. Ein ziemlich junger Mann, vielleicht Franzose, reichte mir eine Schachtel Craven A, zündete mir ebenso schwungvoll die Zigarette an, die ich mit einer Hand herausgezogen hatte, und führte das lange Streichholz an die Lippen, um es auszublasen. Lächelnd sagte er auf Englisch, das ich kaum konnte: Gut für dich. So sagte er. Ich stand einigermaßen aufgeregt da, spürte vielleicht zum ersten Mal im Leben einen Hauch von Freiheit. Das Meer war da, aber es war anders, nach drei Seiten unendlich, und zur vierten hin lag mein Zuhause, unsichtbar im Nebel versunken. Es war ein ganzes Meer, grenzenlos, distanzlos, ohne Liegestühle, ohne Strandtennis, ohne Eis am Stiel, ohne Brandungsboote und ohne Brause. Ich schnupperte es. Ich kannte den Geruch von unserem Balkon, aber dieses Meer hatte einen machtvollen Duft, der »alles erlaubt« signalisierte. Hinterher sagte ich zu meinem Vater, ich bin in deinem Ausland gewesen, und er lachte, verstand mich jedoch und sagte, es ist furchtbar, dass man die Juden nicht kommen lässt, aber es wird noch gut werden. Ich fand es bemerkenswert, jemanden sagen zu hören, dass es gut werden würde, noch dazu meinen Vater Mosche. Bisdahin war mein ganzes Leben zwischen »es wird schlimm« und »es wird sehr schlimm werden« gependelt.
Unter den Matrosen und Schauerleuten an Deck sehnte ich mich nach einem fernen Ort, an dem es gut sein würde und an dem ich noch nie gewesen war. Mir fiel wieder ein, wie wir 1938, in der 3. Klasse, Briefe nach Deutschland geschrieben hatten: »Liebes jüdisches Kind, dir schreibt Yoram K. von der Musterschule in Tel
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