1948 - Roman
einen Millimeter am linken, und er hatte nur zwei Schrammen abbekommen. Wir lachten, und dann schlug mir seltsamerweise eine Kugel neben dem einen Auge ein. Es tat schrecklich weh, brannte, die Kugel war mir offenbar in die Hauttasche, die das Auge hält, gefahren, und das Auge fiel heraus. Ich fing es in der Hand auf. Da die Kugel wohl am Ende ihrer Flugbahn angelangt war, hatte sie mir nur eine Schramme verpasst, und das Auge, das ich in der Hand hielt, war ganz geblieben. Ich setzte es wieder in seine Höhle ein, und der Sanitäter legte mir einen Verband an.
Die Schüsse fielen häufiger, und wir witzelten, der mit den Schrammen an den Ohren würde jetzt besser hören und ich würde besser sehen, und dann kam ein Brummeln auf und danach etwas, das sich wie ein anbrandendes Meer anhörte, und langsam steigerte sich das Rauschen zum Sturmgebraus. Wie einfallende Heuschreckenschwärmte eine Menschenmenge bergauf. Die schwarzen und roten Kafijas kamen angestürmt, setzten über Felsbrocken. Hunderte von Männern rannten und sprangen den Südhang herauf. Wir wussten nicht, wo dieses große Heer plötzlich herkam, wo es sich vorher verborgen hatte. Es war erschreckend, sie anströmen zu sehen, wie eine Herde Affen, die einen Baum erklimmt und schießt.
Kuschi war im ersten Moment genauso verdattert wie wir, und Chaim K. rannte wie von Sinnen zu dem Scheichgrab am Hang zur Straße und geriet unter Beschuss, aber die Patronen verfehlten ihn, und Kuschi entsandte einen Soldaten zum Hauptquartier, um Meldung zu machen, und wir schossen nun wahllos auf die Angreifer, die wir kaum sehen konnten. Sie schrien Alehum und Allahu akbar und al-yahud basurmeya , was der Jude in der Sohle bedeutet, und Kuschi lachte, mitten in dieser Hölle, und ich dachte, wir kämen hier nicht wieder lebendig raus. Jemand fing an, Bésame Mucho auf Arabisch zu singen: Albi Machruf …, und so kapierten wir, dass das unser Ende war.
Wir waren zehn müde Krieger vor dem Haus des Dorfältesten, umringt von Olivenbäumen, und die Massen stürmten von allen Seiten an, preschten zu Hunderten herauf, und wir schossen auf sie und schafften es irgendwie, zwischen den Schüssen nicht einzuschlafen, und ich sah eine prächtige Kefiya, von einem golddurchwirkten Akal gehalten, und darunter einen Mann mit Säbel am Gürtel, und Mosche schrie, guckt euch den an, quasi Rudolph Valentino! Und der Buck Jones mit der Kefiya rief auf Englisch: Hello Boys , und wir verstanden nicht recht, warum man uns auf Englisch anredete, und seine Kameraden schossen auf uns und sprangen weiter, und Mosche traf Valentino exakt in dem Moment, als der seinen Irrtum begriff und die Pistole zog, um auf uns zu feuern, und einMordstumult brach aus. Einige von uns wurden verwundet, die Zeit schien stillzustehen, und es gab jede Menge Feuer.
Bis heute verstehe ich nicht, wieso sie das Dorf nicht zurückerobert haben. Sie waren sehr viele und so hellwach, als hätten sie die ganze Nacht schwarzen Kaffee getrunken. Uns blieb nur noch wenig Munition, aber bald schon drang ein Schrei aus dem Funkgerät: Wir kommen.
Während wir noch schossen, kam ein Trupp von dreiundzwanzig Mann unter dem Befehl von Nachum Arieli angerannt. Sie preschten durch den Feuerhagel herauf. Nachums Stellvertreter befahl uns abzuziehen und rief: Die Soldaten zurück. Die Anführer decken den Rückzug! Die Felsen schrien vor Schmerz. Johannisbrot fiel vom Baum. Feigen stürzten zu Boden. Schimon Alfassi, der gerufen hatte, die Soldaten zurück, die Anführer decken den Rückzug, werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Einige der besten Kommandeure der Brigade, von denen man jedem Einzelnen prophezeite, er würde mal Präsident irgendeines Staates oder General werden, stürmten herbei, um die sieben oder acht einfachen Soldaten zu schützen, die noch am Leben geblieben waren, Hosenpisser, die auf Befehl das Weite suchten.
Die Kommandeure unter Nachum Arielis Befehl bildeten ein Spalier zu beiden Seiten der Gasse, zwischen verrußten Häusern, unter einem wahren Höllenfeuer, und wir schritten zwischen ihnen hindurch wie auf dem Weg zum Hochzeitsbaldachin. Einer nach dem anderen fielen sie unter den Schüssen, und die noch Stehenden deckten uns weiter, schossen auf die Angreifer und starben. Mit einem Auge sehe ich sie mich verteidigen und dabei umfallen wie Dominosteine, und ich will schießen, habe aber keine Munition mehr.
Die schwarzen Massen erreichten die Kuppe am Haus des Scheichs, und ehe sie noch die
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