1948 - Roman
Michael wachte auf, sah die Zeichnung und fing an, Deutsche, Deutsche zu schreien, und jemand nahm die Zeichnung runter und zerriss sie. Später sagte er mir: Ich hab das nicht nur für Michael getan, sondern auch, weil du hier ein erwachsener Mann bist. Erwachsene Männer zeichnen nicht. Mein kleiner Bruder, Moischele, malt Bilder. Du bist schon in der Paljam und gibst dich nicht mit Kinderkram ab.
9
Früh um fünf Uhr wurden wir immer durch harte Schläge an die Blechwand geweckt. Dann rannten wir, zitternd vor Kälte, in der Badehose ins Wasser und schwammen, anfangs drei, später fünf Kilometer. Danach machten wir eine Viertelstunde lang anstrengende Turnübungen, die nassen Badehosen immer noch am Leib, duschten dann kalt, zogen uns in Windeseile an und rannten zum Speisesaal. Wir aßen etwas Brot, Auberginen, Quark, tranken lauwarmen Zichorie-Kaffee und kauten einen trockenen Keks. Nach einer halben Stunde Pause zum Ausruhen und Rauchen gingen die Übungen los. Wenn nachts Sturm aufkam, wurden wir aus dem Schlaf gerissen und mussten an den Strand rennen. Es war kalt und nass. Wir zogen die Boote aus dem Wasser und schrien alle einstimmig: Zum Teufel mit Bevin, ohne dass irgendwer eine Ahnung gehabt hätte, warum wir das taten. Die illegalen Einwanderer, die mit Schiffen ankamen, schafften es nicht mehr an Land, und kein Paljam-Boot erwartete sie. Die Kameraden von der Paljam arbeiteten an Bord als Begleiter, nicht als Matrosen, viele konnten nicht mal schwimmen. Man brachte die Illegalen damals über die Berge und durch den Schnee zu den Häfen, und die meiste Zeit stürmte die See.
Uns wurden Vorträge über Navigation, Segeln und Rudern gehalten, und bei den Geländeübungen rannten wir nicht mit Gewehren, sondern mit Stöcken, an deren Enden provisorische Bajonette befestigt waren. Hanna, dieEinzige und Unvergleichliche – die mühelos eine Tonne rollen konnte, sämtliche Helden der Palmach im Armdrücken besiegte und nur einmal im Leben weinte, als eine Frau von »dort« ihr von einer »Aktion« erzählte –, Hanna schrie uns an, wenn wir mit den Bajonetten rannten: Ich will ein Lächeln auf euren Gesichtern sehen, wenn ihr diese Deutschen abstecht. Ich fragte sie, ob ich wirklich lächeln müsste, wenn ich im Krieg mit dem Bajonett loslaufen würde, um den Feind umzubringen, und sie bat den Befehlshaber, ein motivierendes Gespräch mit mir zu führen.
Der Befehlshaber hatte nur ein sehr begrenztes Repertoire an Wörtern, aber man wusste, dass er bei einer Landung illegaler Einwanderer beinah umgekommen wäre, und schreien konnte er prima. Er versuchte mir mit seiner heiseren Stimme zu erklären, wie wichtig es sei, zu kämpfen und den Feind zu besiegen, und ich sagte, das würde ich ja alles akzeptieren, aber warum lächeln, wenn man mit dem Bajonett losrennt? Er gab keine Antwort, und Hanna, die vergessen hatte, dass sie mir böse war, kommandierte uns raus in die Dünen. Ein anderer Vorgesetzter, den ich nicht kannte, hatte eine Browning-Pistole und fünf Patronen mitgebracht, und jeder von uns feuerte seinen ersten und letzten Schuss mit scharfer Munition im Lehrgang, als Vorbereitung auf die künftigen Gefechte. Beim Schießen zitterte mir die Hand, der Arm schmerzte, und Hanna gab mir eine rote Tablette und sagte, nach meinem Aussehen zu urteilen, hätte ich Bauchweh. Ich verneinte das, aber sie sagte, es sei schon zu spät und sie hätte ohnehin keine anderen Tabletten. Wenn du Bauchschmerzen hast, wird die Pille dir helfen, erklärte sie, und wenn du keine hast, dann schadet sie nichts.
In ideologischen Gesprächen an nasskalten Winterabendenim Bootsschuppen, an dessen dünne Wände der Regen besonders laut prasselte, brachte man uns bei, wie es in der hebräischen Armee zugeht. Auf unseren Einwand, dass wir uns doch freiwillig zur Palmach gemeldet hätten, also eher Partisanen als eine reguläre Armee wären, hieß es, die Palmach sei wie eine Armee und Befehle müssten befolgt werden, weil die jüdische Bevölkerung des Landes erwarte, dass wir für jeden Auftrag bereitständen.
Eines Tages führte man uns weitab in die Dünen. Es dämmerte schon. Erst mussten wir zum Appell antreten. Es regnete nicht. Der Wind heulte. Dann übten wir, in Deckung zu gehen. Hanna herrschte jeden an, der zu robben versuchte, aber wir wussten wirklich nicht, wie man sich tiefer in den Sand einbuddelte. Auf dem Rückweg von der Übung trat ich mir einen Stachel in den Fuß. Ich saß allein am Meer und
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