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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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rauchte, dachte an eine Geschichte meines Vaters: Ein Mann hielt eine Bar-Mizwa-Feier für seinen Sohn, lud Gäste ein. Die Leute kamen, tranken zur Feier des Tages, und der Mann bat seinen Sohn, auf den Hängeboden zu kriechen, um ein Fass Wein herunterzuholen. Der Junge stieg rauf, wurde von einer Schlange gebissen und kehrte nicht wieder. Der Mann kletterte hoch, um nachzuschauen, sah seinen Sohn tot daliegen und stieg wieder hinunter, aß und trank mit seinen Gästen, und alle sprachen lobend von seinem Sohn, bis sie schließlich fragten, wann denn die Zeremonie beginnen solle. Da sagte der Mann zu ihnen: Ihr seid gekommen, um Segen zu sprechen, und habt Trauernde vorgefunden. Mein Vater mochte die Geschichte, und der Schmerz im Fuß regte die Erinnerung an. Mir fehlte der Pfeifenrauch meines Vaters. Mir fehlte das Meer vor unserem Balkon. Hier gab es nur das Meer von Caesarea.
    Zu den Lehrgangsteilnehmern – von denen über die Hälfte später umkamen, aber nicht in den Booten, sondern in Jerusalem oder auf dem Weg dorthin, in Saris, am Kastel, in Nebi Samuel – gehörte eine kleine, magere Frau, die wie ein verwehtes Blatt aussah, so fremd unter uns, als stamme sie von nirgendwo. Es hieß, sie sei in der Lechi gewesen, habe einen britischen Sergeanten getötet, habe auch was mit ihm gehabt, vorher oder vielleicht erst nach ihrem Eintritt in die Lechi, und dann habe sie ihn umgebracht. Andere sagten, das sei nichts als unsinniges Gerede, aber für mich war es das erste Mal, dass ich an den Glanz der Untreue dachte. Vielleicht gibt es wahre Liebe nur zu jemandem, der tot ist, sinnierte ich.
    Als Junge war ich restlos verliebt gewesen in eine mysteriöse Freundin meines Vaters aus Berlin, die ich auf dem einzig verbliebenen Foto von ihr gesehen hatte, aufgenommen etwa zehn Jahre vor meiner Geburt. Sie saß in einem Boot, auf einem Fluss in Deutschland, trug ein weißes Kleid, und mein Vater stand im weißen Anzug neben ihr, als hätte er gerade im Stehen gerudert, und sah sie so zärtlich an.
    Die junge Frau von der Lechi wohnte in einem Zelt für sich, ruderte aber mit uns. Sie war von einer geheimnisvollen Aura umgeben. Wenn sie jemanden ansprach, schien sie mit sich selbst zu reden. Sie hatte keine Schutzhaut gegen die Welt, sah immer aus, als wäre sie aus einem schönen, entlegenen Schloss geflohen oder einer Gosse entstiegen und schön geworden.
    Zum Mittagessen gab es dünne Gemüsesuppe, ein Stückchen Fisch, grünen Salat, Kartoffeln, Kompott und hartes Schwarzbrot. Ich machte Tauschgeschäfte, bot mein Kompott jedem an, der bereit war, auf seine Suppe zu verzichten, und die Kameraden standen Schlange bei mir. Ari-Name-geändert– der später mein bester Freund wurde und über den sich, im Gegensatz zu uns allen, sagen lässt, dass der Krieg das Wunderbarste war, was ihm im Leben passiert ist, trotz des blödsinnigen Todes, den er im Kloster San Simon starb, als die letzte Kugel dieses Gefechts ihn traf und er tot auf sein versengtes Gesicht fiel –, dieser Bursche managte den Ansturm auf mein Kompott und bekam gelegentlich eines geschenkt, leitete meinen Handel wie seinen eigenen. Ich mochte ihn von Anfang an. Er hatte ein weißes Gesicht, kastanienbraunes Haar und den Charme eines Film-Räubers. Er war der Robin Hood unserer öden Dünen, der Gary Cooper der Paljam, dabei auch ein ziemliches Schlitzohr, das alles wusste. Er war in großer Armut aufgewachsen. Sein Vater war bei dem Versuch, einen Kühlschrank in den vierten Stock hinaufzuschleppen, von dem Gerät erschlagen worden. Und bald danach hatte Ari-Name-geändert gar keine Familie mehr, denn seine Mutter starb vor Trauer, und ein Bruder brachte sich um oder fuhr nach Amerika. Er ist mir ein treuer Freund gewesen.
    Wir übten in den Booten Fertigkeiten, die wir nicht mehr brauchen würden, und gewiss nicht dazu, die arabischen Aufständischen auf dem Weg nach Jerusalem zurückzudrängen. Wir übten Knoten schlagen und ähnlichen Seemannskram. Und eines Nachts waren die Kumpels der Gruppe Maschpech (Flussmündung) vom Jahrgang über uns mein Gefasel rechtschaffen leid – von wegen, man müsse kämpfen, statt unsinnige Übungen zu machen, und noch dies und das sei richtig oder nicht, und der Feind sei nicht nur Feind. Sie gerieten in Rage, und einer von ihnen schraubte ein Duschrohr ab und haute es jemandem auf den Kopf, und der rannte schreiend weg, es gab einen Tumult, und dann fielen sie über mich her undbearbeiteten mich mit den Fäusten.

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