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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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unter Beschuss. Es gab die ersten Toten und Verwundeten. Die Palmach mobilisierte ihre Reserveeinheiten, und eines Morgens wurde ich Ecke Ruppin-Straße/Keren-Kajemet-Allee Zeuge eines Gesprächs zwischen zwei jungen Männern. Der eine erzählte: Heute Morgen habe ich meinem Vater gesagt, dass ich wieder zur Palmach geh, und er hat erwidert, wenn man pinkeln möchte, will es der Bauch, wollen es die Augen, wollen es die Hände, aber letzten Endes ist der, der pinkelt, der Potz.
    Ich lief weg, und am Abend ging ich zu Tony, der Schuldirektorin, von deren Lebensgefährten Gustav es hieß, er sei der größte Experte für Fichte und Schelling in ganz Europa gewesen, aber hier bei uns fegte er mit einem großen Besen die Dizengoff-Straße, und Tony rannte ihm mit belegten Broten nach, damit er was aß, und er hatte mir Philosophie beigebracht. Tony sah mich kommen, war aber ganz mit Gustav beschäftigt. Sie trat von der Fahrbahn auf den Gehsteig und blieb vor ihm stehen, reichte ihm gerade mal bis an den Gürtel, den er mit einem von der Straße aufgelesenen Nagel zusammenhielt, das Huhn-mit-Mayonnaise-Brot flog ihr aus der Hand, und ein Hund bellte, und sie nannte Gustav Liebchen , der zartbeseelte Riese küsste sie, wie viel Schönheit lag doch in diesem Kuss.Plötzlich kam mir das Bild des Mannes, der meinen Vater aufgesucht hatte, wieder in den Sinn. Was war das damals in seinen Augen gewesen? Verachtung oder Neid? Später hatten sie sich auf Deutsch angeschrien. Und ich war auf einmal müde, schlief im Gehen ein und konnte nicht mehr reden. Tony begleitete mich bis an die Ecke Keren-Kajemet-Allee und sagte, geh jetzt schlafen, komm morgen erst um neun Uhr, schlaf gut, Kindchen.
    Anderntags ging ich wieder zu Tony, der großartigsten Frau, die mir je im Leben begegnet ist. Sie stand mit dem Gesicht zum Meer neben einem ausladenden Baum im Hof der Schule, die sie gegründet hatte, und ich sagte ihr, ich ginge zur Paljam. Sie war ungehalten, bat mich eindringlich, doch zu warten, bis ich das Reifezeugnis in der Tasche hätte. Ich erklärte etwas. Sie war traurig. Ich sah, dass sie mich verstand, aber nicht einverstanden war.
    Der Vater von Jochanan Kressner, damals ein wichtiger Mann bei der Hagana, der eine Harley-Davidson fuhr, sagte mir, wenn ich wirklich einrücken wolle, müsse ich diskret ein kleines Knopfgeschäft in der Dizengoff-Straße, Nähe Nordau-Allee, aufsuchen. Ich ging hin und sagte, der Mann mit der Harley-Davidson hätte mich geschickt, worauf der Verkäufer erwiderte, er kenne so einen Mann, sein Sohn hieße Jacky, er kenne ihn sogar sehr gut, und ich sagte ihm, der Sohn heiße Jochanan, und da wurde der Verkäufer weich und schickte mich in die Ben-Jehuda-Straße, Nähe Wilna-Straße, zu einem Laden, der ebenfalls Knöpfe verkaufte, und dort sagte mir ein junger Rotschopf, ich solle am nächsten Tag wiederkommen. Das tat ich. Er sagte: Hör gut zu, Junge, in dem Haus, in dem du wohnst, ist im dritten Stock ein Büro. Ich staunte. Es gab dort zwei Wohnungen – die eine gehörte Frau Kremski und die andere Oded Nachmani, der bei der Histadrut-Gewerkschaft arbeitete.
    Ich ging von der elterlichen Wohnung hinunter und klopfte an die Tür. Ein junger Mann öffnete und fragte nach dem Losungswort. Ich sagte, du kennst mich doch, ich wohne hier oben, und er schlug mir die Tür vor der Nase zu. Ich klopfte wieder. Er öffnete, und ich fragte, ob der Mann von der Histadrut hier wohne. Der Bursche fragte, und wer bist du, der danach fragt? Ich sagte: Ich meine, das Losungswort heißt »Knöpfe«. Was für Knöpfe?, fragte er. »Runde«, gab ich zurück, und er sagte: Geh in die Nachlat-Benjamin-Straße, zum Hauseingang neben der Stoffhandlung Schwarz, und klingle dort zweimal. Jemand wird was rufen, und dann singst du »Man muss zweimal klingeln, muss einen kurzen Augenblick warten«, und dann folge demjenigen, der die Tür aufmacht.
    Dieses Lied sang man damals, als die Stadt sich mit Einwanderern füllte, die in kleinen Wohnungen einquartiert werden mussten. Telefone gab es noch kaum, und wer den neuen Mitbewohner sehen wollte, klingelte zweimal. Ich sang: »Man muss zweimal klingeln«, und schon tauchte eine kleine, junge Frau auf, blickte nach rechts und nach links, zog mich in ein dunkles Treppenhaus und stülpte mir einen Kissenbezug über den Kopf. Wir gingen ein Stück, stiegen zwei Treppen hoch, dann runter und wieder rauf, um den Feind zu täuschen, und die ganze Zeit blieb sie stumm. Ich

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