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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Stadt postiert hatten. Heute weiß kaum noch einer, wie furchtbar Jerusalem gelitten hat. Im Viertel Rechavia wurden zwei Männer, die hinter einem Karren mit einem wiehernden Pferd nach Wasser anstanden, tödlich getroffen. Das Wasser rann aus den Behältern, das Pferd scheute und kippte den Karren um,und die Leute versuchten, das Wasser mit Tüchern vom Gehsteig aufzusaugen und sie sich überm Mund auszuwringen, und ein kleiner Junge leckte das Pflaster ab. Die Fenster der Häuser waren verdunkelt. An einer Hauswand, an der wir vorbeikamen, hing ein Plakat der Tänzerin Rina Nikova, auf dem es hieß, dass sie im Zion-Kino auftreten werde und dass Kerzen mitzubringen seien.
    Ich sollte mich damals im Jerusalemer Hagana-Hauptquartier, das dem Kommando von David Schaltiel unterstand, melden. Unterwegs, am Kloster Notre Dame, hielt mich ein dicker Mönch auf. Er lächelte mit christlicher Barmherzigkeit und sagte: Ihr sprechen gut Hebräisch, ihr kämpfen verlorenen Krieg, nur Jesus wird über Jerusalem regieren, und dann schenkte er mir ein Buch mit dem Titel Licht und Glück , auf dass ich das Licht sehen möge. Ich lachte, denn welcher Kindskopf wollte wohl Lichter von Mönchen sehen. Es war unschön von mir zu lachen. Der Mann sah bedauernswert aus, war wegen seines Gottes in dieses Tal des Todesschattens geraten, in das er nicht gehörte. Ich zitierte ihm Heine: »Das besiegte Juda übte grausame Rache am alten Rom und strafte es mit dem Christentum, bis dass das Brüllen seiner Imperatoren sich in das Gemurmel kastrierter Priester verwandelte.« Mein Vater führte das gerne an.
    Der Mönch hörte mir wortlos zu und sagte dann, Hunderttausende von Juden hätten bereits das Licht gesehen. Er erzählte, ein junger jüdischer Soldat habe zufällig einem christlichen Ritual beigewohnt und Gott gefunden: Er hat das Licht gesehen und geweint und darum gebeten, in die Kirche aufgenommen zu werden. Hier in Notre Dame wurde er getauft und hat die Kommunion empfangen, und am nächsten Tag ist er im Kampf gefallen, nicht dem der Kirche, sondern eurem. Man fand ihn unweit desÖlbergs mit Jesus auf den Lippen und dem Kreuz in der Hand, und als man seinen Angehörigen die Geschichte erzählte, nahmen sie das Kreuz auf sich und wurden Christen. Ich lächelte über diesen lieben, dicken, einsamen Mann, der auf dem Weg zur Hölle andere Menschen ihrem Glauben abspenstig machte. Er konnte sich wohl denken, dass ich keine leichte Beute für ihn sein würde, aber warum es nicht versuchen, wenn du Gott an der Hand hast. Tatsächlich versuchte er es nur halbherzig. Ich sagte ihm, Heine habe seinen Besitz seiner Frau vererbt, aber nur unter der Bedingung, dass sie wieder heiratete, denn so würde wenigstens ein Mann seinen Tod bedauern, schrieb er. Der dicke Mönch lachte. Er sagte, komm, wenn du möchtest. Die Gemeinde wartet. Ich zitierte meinen Vater, der Rabbi Huna mit dem Spruch anführte: Wenn ein Mensch eine Tat begeht, für die er den Tod durch den Himmel verdient, was soll er dann tun, um am Leben zu bleiben? Wenn er gewohnt war, eine Seite des Talmuds zu lesen, lese er zwei Seiten, und wenn er gewohnt war, einen Abschnitt der Mischna zu studieren, studiere er zwei Abschnitte. Und wenn er nicht gewohnt war, zu lesen und zu studieren, was tue er dann, um am Leben zu bleiben? Er soll hingehen und Gemeindeverwalter und Almoseneinnehmer werden, dann wird er leben.
    Der Mann fragte: Es ist sicher hart, zu kämpfen, nicht wahr? Plötzlich hatte er begriffen, wo ich herkam. Ich sagte ihm, vor ein paar Tagen hätte ich den Kopf von einem der Unsrigen auf einer Stange gesehen, und gegen so was sei tatsächlich nicht leicht anzukämpfen. Gott lässt sich nicht im Gelände blicken, weder eurer noch unserer. Und ich erzählte ihm: Als der französische König die Katharer angriff, erklärte ihm der Feldherr, er könne die Stadt nicht dem Erdboden gleichmachen, da dort auch Katholikenlebten, worauf der König ihm erwiderte: Du bringst sie alle um, und Gott wird danach die Selektion vornehmen. Ich sagte, ich hätte das in einem jener Miszellen-Bände gefunden, die ich immer gern gelesen hätte. Er sah überrascht aus.
    Granaten schlugen in unserer Nähe ein, Schüsse knallten, eine Frau schrie oder weinte, und der Mönch war wohl traurig wegen seines Gottes und sagte, es ist doch derselbe Gott, und ich erwiderte, unserer kann keinen Sohn zeugen. Er blickte mich traurig an, vielleicht auch barmherzig, denn das war es doch, was Jesus wollte,

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