1948 - Roman
schrie: Was wird denn in zehn Jahren sein? Dieser kleine Süße wird heranwachsen und nach Hause gehen und ein Gewehr holen und zu dir auf den Hof kommen und sich zwischen die Bäume setzen, und du und dein Papa werden ihm Beethoven vorpfeifen, und er wird euch in die Eier schießen, so ihr überhaupt Eier habt.
Hör endlich auf, schrie ich. Der Hals des Jungen war schon gerötet, und Dschindschi rief mir zu, was bist du doch für ein Baby, Yoram, lass N. machen, er ist wütend. Und ich, der N. viele Jahre lang sehr gern hatte, vorher und nachher, ich bebte. Eine Welle von Wut und Schmerz erfüllte mich. Ich richtete die Thompson auf N. und sagte: Du lässt das Kind in Ruhe, oder ich schieße auf dich.
Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn. Ich war durstig. Die Kumpels standen schweigend an der Wand. Ich pinkelte mir in die Hose, und die Thompson wackelte. N. prustete los. Hör mal, du Araberarschlecker, wenn du den Jungen erschießt, schlachte ich ihn nicht ab, und wenn du ihn nicht erschießt, schlachte ich auch noch seine tote Mutter, die vielleicht gar nicht tot ist. Er versetzte ihr einen Tritt. Sie erzitterte, und er sagte: Die Schlampe ist nicht tot, guck dir an, wie ehrlos die Araber fallen. Und du knall mal endlich deinen armen Jungen ab. Zwei Minuten. Wenn du dann nicht auf das Kind schießt, säble ich mit dem Messer los.
Alle warteten reglos. Da stand ich nun mit meinen siebzehneinhalb Jahren und richtete die Thompson auf N. Ichzielte genau, spürte die Spannung, meine Hände zitterten nicht mehr, ich wusste, dass ich im Recht war, diese blöde Gerechtigkeit verlieh mir ungeahnte Kräfte, ich hörte das Blut in den Adern strömen und dachte an meinen Vater und an die Genossen vom Haschomer Hazair mit ihrem binationalen Staat, der mir damals wie heute als die einzig annehmbare Lösung erscheint, wenn auch eine, in der ich nicht leben könnte, und ich legte auf N. an, und ein Schuss knallte. Eine Rauchwolke erhob sich, und N. stand gesund und munter da, aber das Kind sank zu Boden, erst wie ein Schmetterling, dann wie ein Stein. Die Kugel war für N. bestimmt gewesen, ich weiß, dass ich sorgfältig gezielt hatte, aber das Kind war umgekommen. Ich war nicht der beste Schütze, aber auch kein schlechter, und die Entfernung betrug nur gut zwei Meter. Das Brot im Backofen stank verkohlt. Durchs Fenster sah ich einen rennenden Hund und ein gelöschtes Lagerfeuer und Weinreben und eine krumme Tamariske, und dahinter Berge, und ich sah das Bab el-Wad, in dessen Bergen man uns begraben würde, wenn wir starben. Ich löschte das Feuer im Backofen mit dem Eimer Wasser, der dort stand, deckte die Leiche des Jungen mit einer blutverschmierten Wolldecke ab, küsste sein Gesicht, zerrte seine Mutter neben ihn und bedeckte sie mit meiner Fallschirmjägerjacke, die ich ausgezogen hatte, und ging hinaus.
Ich setzte mich zu den Kameraden, die wieder im Schatten des Baumes lagerten. Keiner machte den Mund auf. N. kam zitternd heraus und wollte mich umarmen, aber ich stieß ihn zurück. Die anderen blickten uns an, warteten auf etwas, ohne dass ich wusste, worauf.
Danach fuhren wir zurück nach Kirjat Anavim. Wir beerdigten zwei Tote, darunter Rafi, der am Baum gehangenhatte. Ich ging ins Zelt und wieder hinaus, um einen der Befehlshaber aufzusuchen, falls man sie so nennen kann, und erzählte ihm, was geschehen war und was ich dachte. Er fragte, wer es gewesen war. Ich antwortete, dass ich das nicht preisgeben würde. Er versuchte zu begreifen, was ich ihm sagte. Es wollte ihm irgendwie nicht in den Kopf, er begriff nicht, dass ich ein Kind ermordet hatte. Die höheren Ränge kannten kaum ihre Kämpfer, die namenlos starben. Die einfachen Soldaten schwiegen und fuhren fort zu kämpfen und zu sterben, und die Kommandeure waren, abgesehen von einigen wenigen, vollauf damit beschäftigt, Kommandeure zu sein.
Nach einem Tag auf dem Rasen verfiel ich nicht in Apathie, sondern brachte N. vor Gericht. Und vor was für eines! Der Staat funktionierte damals eigentlich noch nicht. Wir waren Partisanen. Ich holte alle auf den Rasen. Benny Marshak, der den Aufruhr nicht besonders schätzte, aber einsah, dass er als Politruk meinem Antrag stattgeben musste, erteilte den Befehl, einen Prozess abzuhalten. Also setzten sich alle lustlos hin und rauchten, und ich berichtete, was geschehen war. Die andern bemitleideten mich als großen Dummkopf. N. saß schweigend da und lächelte. Als ich ausgeredet hatte, stand er auf und erzählte
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