1948 - Roman
und schrie Unverständliches. Sie stürzte, die Wucht des Aufschlags erschütterte den Leichnam auf dem Boden, und die junge Frau sprang herbei und baute sich vor N. auf. Ihre Augen blitzten vor Feindschaft, und sie spuckte ihm ins Gesicht. Er starrte sie an, wischte sich langsam den Speichel ab, als genieße er diesen Augenblick, und dann sah er mich feixend an, machte einen Satz, riss der Frau das Kopftuch ab und stopfte es der Alten in den Mund. Die schnaubte verächtlich, wollte, nach ihren Augen zu schließen, wohl fliehen, kam aber nicht auf die Beine, und er schrie mich an: Alle arabischen Frauen sind Brutstätten für Mörder,du Kommunistenschwein, du, von wegen Völkerfreundschaft. Schau dir Rafis grünes Hemd gut an, das hat der tote Scheißaraber jetzt am Leib. Erst gestern hatte ich es Rafi geschenkt, und nun trägt es der Scheißaraber hier, und Rafi ist tot, mit dem eigenen Pimmel im Mund.
N. zückte ein stumpfes Sprengmeistermesser, das dazu gedacht war, TNT-Säckchen aufzuschlitzen, und begann, auf die junge Frau einzustechen. Der ganze Trupp, auch diejenigen, die zuvor draußen im Schatten des Feigenbaums geblieben waren, standen schweigend an der Wand, deren Fenster auf den Baum blickten. Ich wollte der Frau beispringen. Die andern sahen, was ich vorhatte, und hielten mich mit Gewalt zurück. Sie sagten: Was hast du denn? Er ist doch dein Freund, oder? Lass ihn seinen Ärger abreagieren. Ich sagte, er solle sie nicht umbringen, und sie riefen, er? Sie? Was macht das schon? Dschindschi, der Rotschopf, hielt mich fest mit der ungeheuren Kraft, die er in den Armen hatte, und N. sah mich an und lachte: Na, spiel ihnen doch Bach vor, du mit deinem Intelligenzler-Vater, du beschissenes Muttersöhnchen, du Niete vom Haschomer Hazair, wie schläfst du denn nachts mit all den Arabern, die du eigenhändig umgebracht hast? Fallen die Araber, die du erschossen hast, etwa nicht unter die Völkerfreundschaft? Sind sie nicht deine Brüder, du Arschloch? Haben sie nichts mit binational zu tun? Und was war mit Abdel-Kader al-Husseini am Kastel?
Wie ein Idiot sagte ich: Aber ich hab ihn doch gar nicht getötet, jemand bei mir auf der Anhöhe hat ihn erwischt, ich hab geschossen, aber nicht getroffen. In dem Moment begriff ich, dass ich vielleicht gern der gewesen wäre, der Abdel-Kader al-Husseini auf der Anhöhe von Kastel umgebracht hatte, und ich schämte mich deswegen und litt auch unter dem schrecklichen Hauch des Todes. N. sagteverächtlich, aha, du hast geschossen, aber nicht getroffen. Sicher wolltest du ihm mit deiner Völkerfreundschaft den Arsch abwischen.
Die Frau schrie N. weiter an mit Dschabar! Dschabar! – Kraftprotz! – und schaffte es auch noch, der Alten das Tuch aus dem Mund zu ziehen. N. versetzte ihr einen harten Schlag, wie ein Samurai aus dem Film, den wir einige Monate zuvor gesehen hatten, und dann kreischte er lustvoll und drückte die Frau auf den Boden, Blut quoll ihr aus Mund und Augen, und er schrie, schau, wie sie umfällt, schau dir an, wie Araber sterben, so sacken sie tot um, langsam, langsam. Nur Juden sterben im Stehen oder zerstückelt am Baum.
Die rückwärtige Tür ging auf, und ein kleiner Junge, etwa acht Jahre alt, kam hereingerannt. Sein Bauch war aufgedunsen, und ein Fliegenschwarm umschwirrte sein Haar wie eine Krone. Ich stand da und starrte vor mich hin. N. packte den erschrockenen Jungen, dessen Gesichtszüge unter all dem Dreck und dem Ruß vom Backofen wunderhübsch waren – so meine ich wenigstens, genau kann ich mich nach über sechzig Jahren nicht mehr erinnern. Der Junge lachte nervös, sichtlich verängstigt, und N. presste ihn an sich und rief: Schau, was für ein Stinker dieser kleine Araber ist! Die Alte stöhnte, und ich schrie N. an, tu ihm nichts, hab Erbarmen, er ist bloß ein Kind. Und N. schrie zurück: Was? Tut’s dir leid um ihn, Bubale ?
Mit der einen Hand hielt er den Jungen, mit der andern setzte er ihm das Messer an die Kehle, ich sah seine Hand unter dem harten Zugriff beben. Der Junge schrie wie am Spieß, und N. lachte seltsam fremd und fragte mich: Na, singst du ihm »Ein Vogelnest zwischen den Bäumen« vor? Du hast doch erzählt, dass du deine Mutter, die Lehrerin,gefragt hast, wieso ein Vogelnest zwischen Bäumen sein kann? Was denn? Hat Bialik, der Nationaldichter, nicht gewusst, dass es Nester nur auf Bäumen gibt und nicht dazwischen? Erneut verbog sich der Teil seiner Seele, die im Dorf mit Arabern aufgewachsen war, und er
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