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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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und dann lief er auf einmal rot an, kreischte fast, dieser arme Mann, der im Land der Kriege und des Hasses hängengeblieben war, und sagte, Jesus hat mit den Lahmen und den Gebrechlichen gesprochen, mit den Ausgestoßenen, denen die frömmelnden Juden den Zugang zum Tempel verwehrten, und darin lag ja seine Stärke.
    Ich ließ ihn stehen und ging zum Hauptquartier. Ich meine, es war in der Schneller-Kaserne untergebracht. Vor der Zimmertür stand ein Spielzeugsoldat in einer schmucken Uniform, von der ich nicht wusste, wo sie die aufgetrieben hatten. Jerusalem war ja noch nicht die ewige Hauptstadt Israels, hatte noch keine Armee und keinen Staat und keine Regierung, aber denen hier hatte man schon Uniformen geschneidert und sogar Rangabzeichen auf die Schulterstücke ihrer Hemden genäht, und einer dort salutierte, und ich bekam einen Lachanfall und erfuhr, dass in Jerusalem eine nette Frau lebte, die die Sterne für die Rangabzeichen entworfen hatte. Sie wohnte im Viertel Nachlaot und hatte die Rangabzeichen bei den Briten gesehen, als sie deren Generälen die Hemden nähte und die Uniformen ausbesserte. Und der Soldat fügte hinzu, dass sie seinem Chef – dem Befehlshaber von Jerusalem,bei dem ich wohl gelandet war – sechs Sterne aufgenäht hatte, wie den Engländern, die die Arabische Legion der Jordanier befehligten.
    Ich begriff, dass der Mann kein Soldat wie ich war, sondern Schaltiels Laufbursche. Seine Uniform war gebügelt. Alle hielten dort Distanz zueinander. Es war still und bedrückend. Ich wurde vorgelassen, Schaltiel saß da, ausstaffiert wie ein ägyptischer Sterne-General. Vielleicht bringe ich es auch durcheinander, und es war jemand anders zu einem anderen Zeitpunkt. Egal, wer es war, ich lachte bei seinem Anblick, und der mexikanische General erhob sich und starrte mich wütend an. Ich sagte ihm, da, wo ich herkäme, seien nicht mehr viele Soldaten am Leben, und wir bekämen noch keine Uniformen geschneidert. Ich entsinne mich heute nicht mehr, warum und in welchem Auftrag ich ihn aufsuchte, aber diese Szene, der Pomp inmitten des Grauens, der schale Hochmut in diesem Augenblick waren mir ein Rätsel. Ich muss wohl etwas gesagt haben, das den mexikanischen General verletzte, denn ich wurde weggejagt, sobald ich die Meldung gemacht hatte, deren Inhalt ich heute nicht mehr im Gedächtnis habe.
    Ich ging nach Talbiye, zum Gebäude des britischen Militärgerichts, das einige Tage zuvor geräumt worden war. Kameraden kamen vorbei und nahmen mich mit. Wir zogen singend durch die leeren, traurigen, geschlagenen, stummen Straßen Jerusalems, konnten vor Müdigkeit kaum die Augen aufhalten. Ein komischer kleiner, dicker, älterer, trauriger Mann sagte mit deutschem Akzent: Nicht singen, derweil hier geschossen wird. Wenn du singst, werden sie dich an keinem Bab el-Wad begraben, sondern gleich hier in der Jaffa-Straße.
    Morgens war es bitterkalt. Wir mussten zum Appellantreten und wurden in zwei Gruppen unterteilt. Ich kam in die zweite. Dann wurde uns je eine Familie genannt, bei der wir den Sederabend verbringen sollten. Vorerst durchstöberte ich das große Militärgerichtsgebäude und fand in einer Zimmerecke einen halben Laib trockenes Brot, den wohl ein englischer Soldat dort zurückgelassen hatte. Ich entdeckte auch ein paar Malven- und Weinblätter auf dem Hof und eine Blume in einem dürstenden Garten, und als es Abend wurde, ging ich los zum Maalot-Haus, wo meine Gastfamilie wohnte. Ich stieg ziemlich viele Treppen hoch und hörte dauernd Granaten einschlagen. An der Wohnungstür klopfte ich, denn Strom für die Klingel gab es nicht, und als man mir besorgt öffnete, überreichte ich der netten Frau die Blume, und sie lächelte, und dann gab ich ihr auch die Malven- und die Weinblätter.
    Wir setzten uns an den Tisch, ich und eine liebe jeckische Familie. Der Hausherr sagte mir, er kenne Walter Katz, einen guten Freund meines Vaters, der in Jerusalem wohnte, der sei noch in München mit uns befreundet gewesen. Sie freuten sich besonders über das Brot. Die Frau betrachtete es mit unverhohlener Begierde und sagte, na, sollen wir die Fenster ganz zumachen und den Herrn der Heerscharen nicht reingucken lassen und sagen, es sei Mazze?
    Auf dem Tisch stand ein Teller mit Sardinen und einer mit einer schrumpeligen Tomate, dem bisschen Grünzeug von mir und einer Gurke, die die Tochter in einem Hof gefunden hatte. Das Geschirr war hübsch. Wasser gab es nicht, aber eine Flasche Wein und ein

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