1948 - Roman
war, und dann standen wir nackt da und suchten ein Stückchen Seife, und die anderen lachten mich aus, weil ich keinenackten Männer oder Frauen neben mir ertragen konnte und mich in mich selbst verkroch. Sogar zum Kacken ging ich nicht mit den anderen aufs offene Feld, sondern versuchte, mich irgendwo im Verborgenen hinzuhocken, und der Geruch war penetrant. So ist das halt.
Vorm Aufbruch ins Gefecht sagten wir zu den Älteren im Kibbuz: Schaufelt die Gräber so schnell wie möglich, denn wir sind unterwegs. Und wir hatten noch so einen Satz auf Lager: »Die Anführer gaben den Befehl loszugehen, und die Soldaten gingen hops.« Zwischendrin versuchten wir zu leben.
Eine große, sonnengebräunte Frau in Shorts und Stiefeln, der Blick entrückt, die Züge ausdruckslos, ging den Hauptweg des Kibbuz entlang, blieb vor mir stehen, sprach mich namentlich an und lud mich nach ein paar Worten zu sich ein. Ein blankgescheuertes Zimmer, wie geleckt, und das bei diesem Wassermangel. Leere Apfelsinenkisten und auch Bücher dienten als Tisch und Stühle, und an den Wänden hingen zwei Bilder, eines von dem Maler Zvi Shor und eines von Käthe Kollwitz. Sie kramte eine alte Schallplatte hervor, der ich ihre Herkunft von der Deutschen Grammophon, Berlin, gleich ansah, denn die Sorte kannte ich von der Sammlung meines Vaters, erkannte sie an dem kleinen hervorstehenden Ring um die Rillen, als die Frau sie aus den Lumpen wickelte, in denen sie sie aufbewahrte.
Die junge Frau sagte mir, sie wisse, wer ich sei, habe Nachforschungen angestellt. Ihr Mann, ein österreichischer Geiger aus Graz, hatte sich auf der Flucht oder dergleichen an der Hand verletzt, aber sogar unterwegs, in den Wäldern, die in Lumpen gewickelte Schallplatte bei sich getragen. Schließlich kam er mit dem Schiff »Knesset Israel« nach Haifa, von dort erst ins britische Internierungslagerauf Zypern und dann heimlich wieder nach Israel, doch die Platte hütete er sogar beim Anstehen vor der Schiffstoilette. Die Frau sagte, einmal habe er fünf Stunden lang Schlange stehen müssen und die ganze Zeit die Schallplatte an die Brust gedrückt. Er habe erzählt, der Schiffskommandeur habe sich gewundert, dass der Mann mit der gebrochenen Hand die Platte nicht losließ, habe ihn in seine Kabine eingeladen und ihm eine Klementine gegeben. Und die Frau meinte, das dort, auf dem Schiff, sei ein Fingerzeig Gottes gewesen. Der Schiffskommandeur sagte ihm nämlich, wenn er ins Land käme, müsse er unbedingt nach Jerusalem hinauffahren, wo er, der Kommandeur, geboren war, und dort auf den Skopusberg steigen, um sich den prächtigsten Sonnenaufgang der Welt anzusehen.
Die Frau stand und ich saß. Sie starrte mich an, dann irrte ihr Blick ab, als wäre sie gar nicht mehr mit mir im Zimmer, sie sah schön und erschrocken aus und sagte: Nach einem Jahr in Zypern konnte er fliehen, hatte aber keine heilen Hände mehr zum Spielen. Er ging zu Fuß von Haifa nach Tel Aviv, mit der Schallplatte. Britische Polizisten hielten ihn an, und er sagte ihnen auf Hebräisch, er spreche keine Sprache, und sie hatten Mitleid mit ihm, lachten und fragten, was er denn da habe, und er zeigte es ihnen, und sie lachten erneut und ließen ihn laufen, und so gelangte er nach Tel Aviv. Er fragte sich zum Tel Aviv Museum in der Rothschild-Allee durch, wo Ödön Pártos, den er noch aus Wien kannte, gerade ein Quartett von Mozart probte. Pártos machte ihn mit deinem Vater, dem Museumsdirektor Mosche Kaniuk, bekannt, und dein Vater fragte ihn, wo er hinwolle. Nach Jerusalem, antwortete er. Die Stadt steht unter Belagerung, wandte dein Vater ein. Ihr Mann erklärte, er wolle hinfahren, weil der Kommandeurdes Schiffes, mit dem er angekommen war, ihm gesagt hatte, er müsse sich unbedingt den Sonnenaufgang in Jerusalem ansehen. Dein Vater sagte, er meine dort vielleicht irgendwo einen Sohn zu haben.
Ihr Mann verließ das Museum und gelangte auf Umwegen nach Jerusalem, stieg auf den Skopusberg und sah den Sonnenaufgang. Vor ihm hielt ein Mann, der einen Moment zum Pinkeln aus dem Auto steigen wollte und den Ärmsten mit der Schallplatte an dem abgelegenen Ort stehen sah. Er sagte, er fahre nach Kirjat Anavim und würde ihn mitnehmen. Im Kibbuz-Sekretariat erklärte er, der Kommandeur des Schiffes, auf dem er eingereist sei, habe ihn geschickt.
Die Frau unterbrach kurz ihre Erzählung, blickte mich an – ich sah eine kleine Träne aus ihrem Auge perlen – und fuhr fort: Ich hatte damals Dienst im
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