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195 - Verloren im Outback

195 - Verloren im Outback

Titel: 195 - Verloren im Outback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel und Ronald M. Hahn
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fürchtete er sich vor den Schatten in mondheller Nacht. Doch er konnte weinen, so viel er wollte, es kam nie jemand, um ihn zu trösten. Er war immer allein.
    Nur nicht in seinen Träumen. Der Neunzehnjährige erinnerte sich noch gut an die Bilder, die sein Kinderherz damals erfand, um nicht zu erfrieren: Aruula, die ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen lief. Aruula, die ihn herzte und küsste und ihn Sohn nannte. Ihre Haut war so weich. Und ihr Haar roch so gut! In den Bildern war immer Sommer; Licht und Wärme und das unvergleichliche Gefühl, geliebt zu werden.
    Niemand hatte Daa’tan je etwas erzählt von dem unsichtbaren Band zwischen einer Mutter und ihrem Kind, das die beiden unzertrennlich machte. Und doch wusste er davon.
    Er konnte es spüren. In jedem Gedanken, jeder Erinnerung.
    Ich muss sie retten!, dachte er. Ich hole sie da raus, und dann wird sie mit mir gehen. Ihr bleibt gar keine Wahl, denn ich bin ihr Sohn!
    Die sinkende Sonne blendete ihn. Daa’tan blieb stehen, beschattete seine Augen mit der Hand. Etwa eine Meile voraus erhoben sich die Umrisse der Siedlung vor dem flammend roten Abendhimmel. Sie musste sehr alt sein, so viel konnte Daa’tan erkennen. Da waren richtige Häuser mit Dächern, Zäune überall und fremdartige… Dinger auf Rädern, ähnlich dem Steuerrad der Roziere. Dort, wo die Straße zwischen den Gebäuden verschwand, flankierten sie zwei Baumstämme. Sie trugen eine Holzkonstruktion, eine Art Band, das sich über den Weg spannte. Der Neunzehnjährige fragte sich, ob das Buchstaben waren, was er da sah.
    Ich will das lernen! Daa’tan nickte entschlossen und setzte sich in Bewegung. Ich will lesen lernen, wie Victorius, und wissen, wie man solche Zeichen macht! Wenn ich Worte malen könnte, dann könnte ich anschließend weggehen und Grao’sil’aana, oder wer auch sonst, würde trotzdem erfahren, was ich gesagt habe. Das ist doch großartig!
    Er grinste breit. Natürlich müsste Grao dafür erst selbst lesen lernen! Aber das bringe ich ihm dann schon bei.
    Es war ein gutes Gefühl, diese künftige Überlegenheit! Sie gab Daa’tan neue Energie, sodass er beinahe vergnügt weiter wanderte, trotz seiner schmerzenden Füße. Unterwegs wurde er von einem Schwarm Kukka’bus überholt – lauter rabenschwarze Biester, wohlgenährt und voller Tatendrang.
    Lärmend fielen sie in die Stadt ein, verteilten sich auf den Dächern und ließen dabei unentwegt diesen seltsamen Ruf ertönen, den sie von ihren Vorfahren, den australischen Eisvögeln, übernommen hatten. Er klang wie ein kollektiver Lachanfall.
    Als sich Daa’tan den ersten Häusern näherte, kam ihm einer der Kukka’bus entgegen. Er landete flatternd auf der Holzkonstruktion mit ihren geheimnisvollen Buchstaben, plusterte sich auf und rieb danach seinen Schnabel am Holz.
    Urplötzlich flog er auf und verschwand.
    Daa’tan blieb verborgen, was der Vogel erkannt hatte. Er ging ahnungslos unter dem hölzernen Schild hindurch. Ohne zu merken, dass er eine unsichtbare Grenze überschritt…
    ***
    Aus Aruulas Erinnerungen
    Die Nacht war voll von gespenstischem Leben, als sich Aruula, die nur das bei sich hatte, was sie am Leibe trug, einen Weg am Flussufer entlang bahnte.
    Überall knisterte und knackte es. Das Uferschilf bewegte sich. Lange dünne Fische sprangen im Mondschein aus dem Wasser und fielen klatschend zurück. Grüngoldene Natt’niks quakten der einsamen Wanderin die Ohren voll. Irgendwie war Aruula ihnen dankbar, denn sie brauchte dringend Ablenkung von dem Gedanken, dass man sie möglicherweise noch vor dem Morgengrauen für eine Mörderin auf der Flucht hielt.
    Zum Glück hatte sie während der Wanderschaft aus den Gesprächen zwischen Baloor und Sorban einiges über dieses Tal erfahren. Sie waren aus dem Westen gekommen. Die Gegend, die sie momentan durchquerte, hieß Oylberk und gehörte dem Herrn von Elfenfeld. Die Metallkonstruktion – »Swebibaan« genannt – war für Ortsfremde ein wunderbarer Wegweiser. Wenn man ihr nach Osten folgte, kam man nach Baarmen, wo die Armen wohnten. Hinter Baarmen lagen die Ruinen von Swelm, wo sich in mondlosen Nächten jene Hexen trafen, die mit Orguudoo im Bunde waren.
    Obwohl dieser dämonische Ort einen Tagesmarsch hinter Elfenfeld liegen sollte, gelangte Aruula schon nach einer Stunde in Gefilde, die ihr nicht geheuer waren. Je weiter sie nach Osten kam, umso übler roch der Fluss: Schwefeldunst stieg aus Erdlöchern auf. Sie begriff, dass sie sich dem Gebiet

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