1956 - Das Haus der Nisaaru
niemals freilassen dürfen. Es ist alles meine Schuld."
„So etwas darfst du nicht sagen, Tuyula! Ich bitte dich!" Tuyula neigte nachdenklich den Tellerkopf. „Hör zu, Vincent, ich werde noch einmal zu den Saarern gehen", kündigte sie an. „Ich muss ihnen erklären, was geschehen ist. Wir können das nicht so auf sich beruhen lassen - wer weiß, welche Schwierigkeiten wir Mhogena damit machen."
Vincent sagte entschlossen: „Dann komme ich mit dir."
„Auf keinen Fall!" lehnte sie ab. „Wenn du dich sehen lässt, gerät wieder alles außer Kontrolle. Du bleibst hier, und wenn du dich wieder ruhig genug fühlst, kehrst du aufs Schiff zurück."
„Aber ... wie kommst du dann zu rück?"„Ich finde schon einen Weg. Wenn Nisaaru mir weiterhin wohlgesonnen ist, wird sie dafür sorgen."
Vincent Garron gab schließlich nach. Er ließ Tuyula Azyk in das Haus der Nisaaru. zurückkehren, während er selbst in der Hypersenke blieb. Die Blue hatte verständlicherweise große Angst, denn normalerweise erwartete sie jetzt nichts als Methannebel. Doch sie musste dieses Risiko eingehen.
Sie wollte nicht eine weitere Schuld an dem gewaltsamen Tod unschuldiger Wesen tragen müssen. Wenn Nisaaru sie jetzt mit dem Tode bestrafen würde, würde sie es annehmen. Es gab keinen anderen Weg, sonst könnte sie das alles nicht mehr länger ertragen.
Natürlich hing Tuyula am Leben. Das Herz sprang ihr fast aus dem Hals, als Vincent einen Ausgang schuf und plötzlich hereindringendes Licht die Finsternis erhellte. Das würde der schwerste Schritt ihres bisherigen Lebens werden, vielleicht auch ihres zukünftigen. Es war nicht leicht, mit offenen Augen in den Tod zu gehen - und das auch noch freiwillig. „Tuyula, du musst es nicht tun", sagte Vincent leise. Sein Verstand wurde allmählich wieder klar. Der Mutant schien nun erst die Gefahr zu begreifen, in die sich das Mädchen begab. „Doch", gab sie ebenso leise zurück. „Wenn ich eines seit meiner ersten Begegnung mit dir gelernt habe, dann das: Es geht nie mehr zurück, nur vorwärts. Wir können nichts ungeschehen machen, aber wir können die Verantwortung dafür übernehmen."
„Dann muss ich hinausgehen und nicht du."
„Nein, ich muss allein gehen."
„Tuyula, du bist das unschuldigste Wesen, das ich kenne. Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren."
„Du wirst es lernen", sagte sie hart. „Aber ich will so nicht mehr weitermachen. Ich muss es wissen. Ich muss mich dem stellen, egal, was daraus wird." Er schien zu begreifen, dass er sie nicht zurückhalten konnte. Diesmal versagte seine Überredungskunst, Tuyula hatte einen endgültigen Entschluss gefasst. Ohne noch ein Wort zu verlieren, unternahm sie mit angehaltenem Atem den Schritt, schloss dabei geblendet - und auch aus Furcht - die Augen. Eine Weile stand sie da, presste weiterhin die Lider zusammen und hielt den Atem an.
Bis sie nicht mehr konnte. Es half nichts, die verbrauchte Luft musste raus, und sie musste einatmen. So muss es einem Ertrinkenden ergehen, dachte sie schreckerfüllt. Dieser furchtbare Augenblick, wenn die letzten Luftblasen seines Atems aufsteigen und er gezwungen ist, Atem zu holen - und zu wissen, dass es nur Wasser sein wird, das ihn erstickt und tötet ... Pfeifend entwich ihr Atem, und der Reflex setzte sofort ein, ohne eine Sekunde des Zögerns zuzulassen. Sie atmete ein - und öffnete verblüfft die Augen. Sauerstoff.
Weit und breit waren keine giftigen Methanschleier zu sehen, alles um sie herum war in eine Sauerstoff-Atmosphäre gehüllt - frische, gute Luft. Sie befand sich wiederum in einem der verschlungenen Korridore - ob in demselben, konnte sie nicht feststellen. Alles sah genau gleich aus. Tuyula hätte laut schreien können vor Erleichterung und Freude, am Leben bleiben zu dürfen. Nisaaru musste wahrhaftig sehr gütig sein, wenn sie in ihrem eigenen Haus den Mord an ihren Dienern verzieh.
Den mächtigen Kreaturen des Willens sei Dank, dass Vincent es sich nicht doch anders überlegt hatte und nachgekommen war. Tuyula war nicht sicher, ob es dann genauso verlaufen wäre. Aber vielleicht konnte sie auf diese Weise auch für ihn Vergebung erlangen...
8.
Nisaarus Antwort
Es dauerte nicht lange, bis wieder einige Saarer auf sie zukamen - alle sahen wie ätherische Blues aus. Ich bin zurückgekehrt, um euch um Verzeihung zu bitten, dachte Tuyula. Es ist unentschuldbar, das weiß ich. Aber es geschah nicht aus einem bösen Willen, sondern aus
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