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1980 Die Ibiza-Spur (SM)

1980 Die Ibiza-Spur (SM)

Titel: 1980 Die Ibiza-Spur (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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zurücklassen. War er am Ende auf der Flucht? Hatte er etwas getan, um dessentwillen man ihn verfolgte und das ihn zwang, für eine Weile zu verschwinden? Auch diese Version war, ging man von der Persönlichkeit des Verschollenen aus, ganz und gar abwegig. Victor würde sich nicht unter Hinterlassung von mysteriösen Abschiedserklärungen der Verfolgung entziehen, sondern sich stellen. Auch die für das plötzliche Aufgeben bewährter innerer und äußerer Positionen häufig genannten Gründe wie Midlife-Crisis, Fortschrittsmüdigkeit, Erfolgsüberdruß, Zweifel an der eigenen Leistung, das Kokettieren mit der alternativen Szene oder wie man die schmerzlichen Prozesse derer, die plötzlich alles in Frage stellen, sonst noch nennen mochte, hatte er als Motive für den Schritt seines Bruders in Betracht gezogen, aber an keines mochte er so recht glauben. Und indem er sie alle erwog und alle wieder verwarf, blieb die Skepsis, blieb die Unruhe. Und damit war er nicht gerade trefflich ausgerüstet für sein Vorhaben, nach Hause zu fahren und die nicht minder besorgte Mutter zu beruhigen.

III.
    Das Blankeneser Haus war nicht groß. Es war auch nicht besonders ansehnlich, sondern sogar ein bißchen verunstaltet. Bei der Sturmflut im Frühjahr 1962 hatte sich nach der Überschwemmung der links vom Frontgiebel befindliche Hausteil um fast einen Meter gesenkt. Später hatte man ihn wieder stabilisiert, ohne jedoch den Dachfirst auf die ursprüngliche Höhe zu bringen, so daß er etwas niedriger war als der rechts vom Giebel verlaufende. Seit der Zeit sprach man in der Nachbarschaft von dem »Haus mit den schiefen Schultern«, was aber die Hemmerichs nicht kränkte. Von diesem Makel abgesehen, war es ein solides, in rotem Backstein errichtetes Einfamilienhaus. Es hatte graue Schindeln, Butzenscheiben, einen ebenfalls aus Backstein gebauten Windfang und eine schwere, grün gestrichene Eingangstür. Zwischen der am Bürgersteig entlangführenden Ligusterhecke und der Hausfront befand sich ein etwa hundert Quadratmeter großer Vorgarten, der nun, im April, außer Krokussen und Narzissen nichts Blühendes herzeigte.
    Als Klaus Hemmerich mit seinem Bordcase die Gartenpforte aufschob – in der anderen Hand trug er einen schweren Koffer –, trat die Mutter aus der Tür. Sie hatte schon eine Weile am Fenster gesessen und auf den Sohn gewartet. Klaus stellte, sobald er die Mutter sah, sein Gepäck auf dem Plattenweg ab, lief ihr entgegen, umarmte und küßte sie und sagte sofort, um gar nicht erst in die Versuchung zu kommen, das unbehagliche Thema auszusparen:
    »Sollst sehen, Mutter, bald steht auch Victor hier auf diesen Steinen, links seinen Koffer, rechts die Remington, und schließt dich genauso in die Arme, wie ich es jetzt tu!«
    Die Mutter lachte und weinte zu gleicher Zeit, nahm den Handkoffer auf und zog den Sohn hinter sich her ins Haus. Eine halbe Stunde später saßen sie beim Frühstück am Tisch vor dem Wohnzimmerfenster.
    Sie ist gealtert, dachte Klaus Hemmerich, hat nicht mehr die jungen, lebenssprühenden Augen. Aber ist das ein Wunder? Viele durchwachte Nächte werden sie müde gemacht und ihr den Schwung genommen haben.
    Von den Augen abgesehen, war der Fünfundsechzigjährigen der Schmerz nicht anzusehen. Sie hatte, wie immer, wenn einer der Söhne nach Hause kam, eine ihrer Seidenblusen angezogen, diesmal die malvenfarbene. Dazu trug sie einen dunkelgrauen Rock. Das Haar, obwohl silbergrau, wirkte jugendlich, weil es kurz geschnitten war. Den etwas welken Hals schmückte eine indianische Arbeit aus Kolumbien, eine enganliegende Kette aufgereihter Goldlamellen. Klaus hatte sie ihr vor einigen Jahren aus Baranquilla mitgebracht.
    Sie schenkte den Kaffee ein, und er fand ihre Hände wohlgeformt und gepflegt wie immer. Wenn man von der früheren Lebendigkeit ihrer Augen nicht wußte, dachte er, würde man ihr kaum etwas anmerken. Wirklich, sie beherrschte sich sehr. Auch die Stimme, in die ja so leicht das Leiden hineingleitet, war fest, klang nicht wehmütig. Nur der Blick verriet die Trauer, zeigte den ermatteten Glanz alter Spiegel.
    Sie stellte die Kanne ab, griff über den Tisch hinweg nach seiner Hand, die noch dunkelbraun war von der Karibik und auf der die ihre, klein und weiß, wie eine Kinderhand aussah. »Ich bin so froh«, sagte sie, »daß du da bist. Wenn ich allein bin, weiß ich mir manchmal gar keinen Rat. Ich habe ja niemanden außer dir, mit dem ich über Victor sprechen kann. Es ist nicht

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