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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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einem Tablett in Händen unbeholfen in dem Lokal herumgehen und nach einem Sitzplatz hätte suchen sehen. In seiner etwas unbestimmten Art war Ampleforth Winston zugetan und würde sicherlich an seinem Tisch Platz nehmen, wenn er ihn erblickte. Es blieb ihm vielleicht nur eine Minute zum Handeln. Beide, Winston und das Mädchen, aßen eifrig weiter. Was sie hinunterschlangen, war ein dünnes Eintopfgericht, eine Bohnensuppe. Mit einem leisen Murmeln begann Winston zu sprechen. Keiner von beiden blickte auf; ohne Unterbrechung löffelten sie das wäßrige Zeug und wechselten zwischendurch mit leiser, gleichförmiger Stimme die nötigsten Worte.
    »Wann gehen Sie von der Arbeit weg?«
    »Achtzehn Uhr dreißig.«
    »Wo können wir uns treffen?«
    »Victory-Square, beim Denkmal.«
    »Dort wimmelt es von Televisoren.«
    »Das macht nichts, bei dem Gedränge.«
    »Brauchen wir ein Zeichen?«
    »Nein. Kommen Sie erst zu mir herüber, wenn Sie mich mitten in der Menschenmenge sehen. Und sprechen Sie nicht mit mir. Bleiben Sie nur in meiner Nähe.«
    »Wann?«
    »Neunzehn Uhr.«
    »Gut.«
    Ampleforth hatte Winston nicht erspäht und setzte sich an einen anderen Tisch. Doch die beiden sprachen nicht mehr miteinander und vermieden es, soweit das für zwei am selben Tisch sich Gegenübersitzende möglich war, einander nochmals anzublicken. Sie beendete rasch ihre Mahlzeit und stand auf, während Winston sitzen blieb, um eine Zigarette zu rauchen.
    Winston fand sich vor der verabredeten Zeit am Victory-Square ein. Er ging um den Sockel der riesigen kannelierten Säule herum, auf deren Spitze das Standbild des Großen Bruders gen Süden blickte, wo er die eurasischen Flugzeuge (vor ein paar Jahren waren es die ostasiatischen gewesen) in der Schlacht um den Luftflottenstützpunkt Nr. 1 besiegt hatte. In der Straße gegenüber stand ein Reiterdenkmal, das Oliver Cromwell darstellen sollte. Fünf Minuten nach der vereinbarten Zeit war das Mädchen immer noch nicht erschienen. Wieder befiel Winston die gleiche fürchterliche Angst. Sie würde nicht kommen, sie hatte es sich anders überlegt! Langsam ging er die Nordseite des Platzes hinauf und empfand eine Art wehmütiger Freude beim Anblick der St.-Martins-Kirche, deren Glocken einst, als sie noch Glocken hatte, »You owe me three farthings« geläutet hatten. Plötzlich sah er das Mädchen an dem Denkmal stehen, scheinbar in die Lektüre eines Plakates vertieft, das spiralförmig um die Säule herum lief. Ehe sie nicht von mehr Menschen umgeben war, konnte er sich ihr nicht gefahrlos nähern; rund um das Denkmal waren Televisoren angebracht. Aber in diesem Augenblick ertönte von links her lautes Stimmengewirr und das Rattern schwerer Wagen. Plötzlich schien alles über die Straße zu laufen. Das Mädchen bog rasch um die steinernen Löwen am Fuß des Denkmals und lief der Menge nach. Winston folgte ihr. Im Laufen entnahm er einigen Ausrufen, daß ein Transport eurasischer Gefangener auf der anderen Seite des Platzes unter schwerer Bewachung vorübergefahren wurde.
    Schon verkeilte eine dichte Menschenmenge die Südseite des Platzes. Winston, der sich normalerweise aus jedem Gedränge herauszuhalten versuchte, stieß und drängte sich seinen Weg durch die Menge. Bald stand er auf Armeslänge von dem Mädchen entfernt, doch war der Weg von einem riesigen Proles und einem fast ebenso riesigen Weibsstück, vermutlich seiner Frau, versperrt, die zusammen einen schier undurchdringlichen Fleischwall zu bilden schienen. Winston schob sich weiter seitwärts, und mit einem heftigen Vorstoß gelang es ihm, seine Schulter zwischen die beiden zu zwängen. Einen Augenblick war es, als ob seine Weichteile zwischen zwei muskulösen Hüften zermalmt werden sollten, dann hatte er sich leicht schwitzend durchgearbeitet. Er stand jetzt Schulter an Schulter neben dem Mädchen; beide blickten starr geradeaus.
    Eine lange Kolonne Lastwagen, auf denen verteilt Wachmannschaften mit wie aus Holz geschnitzten Gesichtern standen, die Maschinenpistolen griffbereit, rollte langsam die Straße entlang. Drinnen drängten sich eng zusammengepfercht kleine gelbgesichtige Männer in fadenscheinigen graugrünen Uniformen. Ihre traurigen Mongolengesichter blickten völlig teilnahmslos über die Seitenwände der Lastwagen.
    Gelegentlich hörte man bei einem Ruck des Wagens ein metallisches Klirren: sämtliche Gefangenen waren an den Füßen gefesselt. Eine Wagenladung trauriger Gesichter nach der anderen rollte

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