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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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sprechen«, fuhr sie fort, »für den Fall, daß dort ein Mikrophon versteckt ist. Ich glaube es zwar nicht, aber es könnte doch sein. Es besteht immer die Möglichkeit, daß einer von diesen Schweinen unsere Stimme erkennt. Hier sind wir geborgen.«
    Er hatte noch immer nicht den Mut, näher an sie heranzutreten.
    »Ja, sind wir hier geborgen?« wiederholte er töricht.
    »Doch, schauen Sie die Bäume an.« Es waren junge Eschen, die vor einiger Zeit abgeholzt waren und jetzt wieder zu einem Wald dünner Stämme ausgeschlagen hatten, von denen keiner stärker war als ein Handgelenk. »Hier ist kein Stamm, der dick genug wäre, um ein Mikrophon darin zu verstecken. Außerdem war ich schon einmal hier.«
    Sie machten nur Konversation. Er war ihr jetzt näher gekommen. Sie stand sehr gerade aufgerichtet vor ihm, mit einem leise ironischen Lächeln um die Mundwinkel, als überlege sie, warum er eigentlich so lange brauche, zur Tat zu schreiten. Die Glockenblumen waren wie von selbst zu Boden gefallen. Er ergriff ihre Hand.
    »Würden Sie für möglich halten«, sagte er, »daß ich bis zu diesem Augenblick nicht gewußt habe, welche Farbe Ihre Augen haben?« Sie waren braun, stellte er fest, von einem ziemlich hellen Braun, mit schwarzen Wimpern. »Und können Sie, nachdem Sie gesehen haben, wie ich wirklich ausschaue, meinen Anblick noch ertragen?«
    »Ja, ohne weiteres.«
    »Ich bin neununddreißig Jahre alt. Ich habe eine Frau, die sich nicht scheiden läßt. Außerdem habe ich Krampfadern. Und fünf falsche Zähne.«
    »Das ist mir vollständig egal«, sagte das Mädchen.
    Im nächsten Augenblick – und es wäre schwierig gewesen zu sagen, wie es zugegangen war – lag sie in seinen Armen. Anfangs empfand er nichts als reine Ungläubigkeit. Der jugendliche Körper schmiegte sich an seinen, der dichte Schöpf ihres dunklen Haares lag vor seinem Gesicht; und nun hatte sie ihm das Gesicht zugewandt, und er küßte ihren üppigen roten Mund. Sie hatte die Arme um seinen Nacken geschlungen, nannte ihn Schatz, Liebling, Geliebter. Er hatte sie zu sich herab auf die Erde gezogen, sie war ganz Hingabe, er konnte mit ihr machen, was er wollte. Aber in Wahrheit hatte er keine körperliche Empfindung, außer der engen Verbundenheit. Alles, was er fühlte, war Staunen und Stolz. Er freute sich über das, was geschah, aber empfand kein körperliches Verlangen. War es, weil es so plötzlich kam, weil ihre Jugend und Anmut ihn erschreckten, weil er zu sehr daran gewöhnt war, ohne Frauen zu leben – er hätte den Grund nicht nennen können. Das Mädchen raffte sich auf und zupfte eine Glockenblume aus ihrem Haar. Sie setzte sich, eng an ihn geschmiegt, den Arm um seine Hüfte gelegt.
    »Mach' dir nichts draus, Liebster. Es hat keine Eile. Wir haben den ganzen Nachmittag vor uns. Ist das nicht ein prächtiges Versteck? Ich fand es, als ich mich einmal auf einem Gemeinschaftsausflug verlaufen hatte. Wenn jemand kommen sollte, kann man ihn auf hundert Meter Entfernung hören.«
    »Wie heißt du?« fragte Winston.
    »Julia. Ich weiß, wie du heißt. Winston – Winston Smith.«
    »Wie hast du das herausgefunden?«
    »Ich glaube, ich bin in solchen Sachen tüchtiger als du, mein Schatz. Sag mir, was hast du an dem Tag von mir gedacht, als ich dir den Zettel zusteckte?«
    Er fühlte sich nicht versucht, ihr etwas vorzulügen. Es war sogar eine Art Liebesbeweis, gleich das Schlimmste zuzugeben.
    »Mir war dein Anblick höchst zuwider«, gestand er. »Ich wollte dich am liebsten vergewaltigen und danach ermorden. Noch vor zwei Wochen dachte ich ernstlich daran, dir mit einem Pflasterstein den Schädel einzuschlagen. Wenn ich dir die volle Wahrheit sagen soll: Ich dachte, du seist bei der Gedankenpolizei.«
    Das Mädchen lachte belustigt und nahm das offenbar als Kompliment für ihre vorzügliche Tarnung hin.
    »Bei der Gedankenpolizei! Das kannst du doch nicht wirklich geglaubt haben?«
    »Na, vielleicht nicht gerade das. Aber deiner ganzen Erscheinung nach – bloß weil du jung und frisch und gesund bist, du verstehst doch – dachte ich, daß du vermutlich –«
    »Du hast mich also für ein gutes Parteimitglied gehalten. Ohne Fehl, in Wort und Tat. Fahnen, Umzüge, Schlagworte, Sport, Gemeinschaftswanderungen – das ganze Zeug. Und du hast geglaubt, daß ich dich, wenn ich nur die geringste Möglichkeit dazu gehabt hätte, als Gedankenverbrecher denunzieren und umbringen lassen würde?«
    »Ja, so etwas Ähnliches. Viele junge

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