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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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verflüchtigen. Man hat deshalb auf allen Seiten erkannt, daß, so oft auch Persien oder Ägypten oder Java oder Ceylon den Besitzer wechseln mögen, die Hauptgrenzen doch nie von etwas anderem als von Bomben überquert werden dürfen.
    Dem liegt eine nie laut ausgesprochene, aber stillschweigend erkannte und anerkannte Tatsache zugrunde: nämlich, daß die Lebensbedingungen in allen drei Superstaaten fast genau die gleichen sind. In Ozeanien wird die herrschende Weltanschauung als Engsoz bezeichnet, in Eurasien heißt sie Neo88
    Bolschewismus, und in Ostasien wird sie durch ein chinesisches Wort ausgedrückt, das gewöhnlich mit Sterbekult übersetzt, vielleicht aber treffender mit Auslöschung des eigenen Ichs wiedergegeben wird. Der Bewohner Ozeaniens darf nichts von den Grundsätzen der beiden anderen Lebensanschauungen wissen, wird aber gelehrt, sie als barbarische Verstöße gegen Moral und gesunden Menschenverstand zu verabscheuen. In Wirklichkeit sind die drei Lebensanschauungen kaum voneinander unterscheidbar, und die gesellschaftlichen Einrichtungen, zu deren Stütze sie dienen, unterscheiden sich überhaupt in keiner Weise. Überall findet sich der gleiche pyramidenförmige Aufbau, die gleiche Verehrung eines halbgöttlichen Führers, die gleichen, durch und für dauernde Kriegführung vorgenommenen Sparmaßnahmen. Daraus folgt, daß die drei Superstaaten nicht nur einander nicht überwinden können, sondern auch keinen Vorteil davon hätten. Im Gegenteil, solange sie in gespanntem Verhältnis zueinander stehen, stützen sie sich gegenseitig wie drei aneinander gelehnte Getreidegarben. Und wie gewöhnlich, sind sich die herrschenden Gruppen aller drei Mächte dessen, was sie tun, gleichzeitig bewußt und nicht bewußt. Ihr Leben ist der Welteroberung gewidmet, sie wissen aber auch, daß es notwendig ist, daß der Krieg ewig und ohne Endsieg fortdauert. Inzwischen macht die Tatsache, daß keine Gefahr einer Eroberung besteht, die Verleugnung der Wirklichkeit möglich, die eines der besonderen Merkmale von Engsoz und seinen rivalisierenden Denksystemen ist. Hier muß das bereits früher Gesagte wiederholt werden, wonach der Krieg dadurch, daß er zu einem Dauerzustand wurde, seinen Charakter grundlegend geändert hat.
    In früheren Zeiten war ein Krieg fast seiner Definition nach schon etwas, das früher oder später zu einem Ende kam, gewöhnlich in Form eines unmißverkenntlichen Sieges oder einer ebensolchen Niederlage. Auch war in der Vergangenheit der Krieg eines der Hauptmittel, um die Verbindung der menschlichen Gesellschaften mit der gegebenen Wirklichkeit aufrechtzuerhalten. Alle Machthaber in allen Zeitaltern haben versucht, ihren Anhängern ein falsches Weltbild einzuimpfen, aber sie konnten es sich nicht leisten, eine Illusion zu ermutigen, die dazu angetan war, die militärische Stärke zu beeinträchtigen. Solange eine Niederlage gleichbedeutend war mit Verlust der Unabhängigkeit oder ein anderes unerwünschtes Ergebnis im Gefolge hatte, mußte man ernstliche Vorkehrungen gegen eine Niederlage treffen. Greifbare Tatsachen konnten nicht außer acht gelassen werden. In Philosophie, Religion, Ethik und Politik mochten wohl zwei plus zwei gleich fünf sein, aber wenn es sich um die Konstruktion eines Gewehrs oder eines Flugzeugs handelte, dann mußte es gleich vier sein. Untüchtige Nationen wurden immer früher oder später überwunden, und der Kampf um die Leistungsfähigkeit erlaubte keine Illusionen. Außerdem mußte man, um leistungsfähig zu sein, aus der Vergangenheit lernen können, was bedeutet, daß man eine ziemlich genaue Vorstellung von dem haben mußte, was sich in der Vergangenheit zugetragen hatte. Zeitungen und Geschichtsbücher waren freilich immer gefärbt und einseitig, aber Fälschungen von der heute üblichen Art wären unmöglich gewesen. Der Krieg war eine sichere Bürgschaft für Vernunft, und was die herrschenden Klassen betrifft, vielleicht das wichtigste aller Schutzmittel. Solange Kriege gewonnen oder verloren werden konnten, konnte keine Klasse ganz verantwortungslos sein.
    Aber wenn der Krieg buchstäblich ein Dauerzustand wird, dann hört er auch auf, gefährlich zu sein.
    Wenn Krieg ein Dauerzustand ist, dann gibt es so etwas wie eine militärische Notwendigkeit nicht mehr.
    Technischer Fortschritt kann aufhören, und die offenkundigsten Tatsachen können geleugnet oder außer acht gelassen werden. Wie wir gesehen haben, werden für Kriegszwecke zwar noch

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