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1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)

Titel: 1984 (Kurt Wagenseil: Übers.) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Wirkung war, daß die herrschenden Gruppen aller Länder zu der Überzeugung gelangten, ein paar Atombomben mehr würden das Ende jeder geordneten Gesellschaft und damit ihrer eigenen Macht bedeuten. Danach wurden, obwohl nie ein formelles Abkommen getroffen oder angedeutet wurde, keine Atombomben mehr abgeworfen. Alle drei Mächte fahren lediglich fort, Atombomben herzustellen und sie für die entscheidende Gelegenheit aufzuspeichern, von der sie alle glauben, daß sie früher oder später kommen wird. Und inzwischen ist die Kriegskunst dreißig oder vierzig Jahre so gut wie zum Stillstand gekommen. Helikopter werden mehr benützt als früher, Bombenflugzeuge wurden größtenteils durch selbstgesteuerte Geschosse ersetzt, und das leicht verwundbare bewegliche Schlachtschiff ist der nahezu unversenkbaren Schwimmenden Festung gewichen; aber sonst hat sich wenig weiterentwickelt. Der Tank, das Unterseeboot, das Torpedo, das Maschinengewehr, sogar das gewöhnliche Gewehr und die Handgranate sind noch immer im Gebrauch.
    Und ungeachtet der endlosen in der Presse und durch den Televisor gemeldeten Gemetzel fanden die verzweifelten Schlachten früherer Kriege, in denen oft sogar in ein paar Wochen Hunderttausende oder sogar Millionen von Menschen getötet wurden, nie eine Wiederholung.
    Keiner der drei Superstaaten unternimmt je eine Kriegshandlung, die das Gefahrenmoment einer ernsten Niederlage in sich schließt. Wenn eine große Kriegshandlung unternommen wird, so handelt es sich gewöhnlich um einen Überraschungsangriff gegen einen Verbündeten. Die Strategie, die alle drei Mächte verfolgen oder zu verfolgen glauben, ist die gleiche. Sie zielt darauf ab, sich durch ein Zusammenwirken von Kampfhandlungen, Verhandeln und zeitlich wohlberechnetem Verrat einen Ring von Stützpunkten zu schaffen, der den einen oder anderen der rivalisierenden Staaten vollkommen einkreist, und dann mit diesem Rivalen einen Freundschaftspakt zu schließen und so viele Jahre friedliche Beziehungen mit ihm zu unterhalten, daß jeder Argwohn einschläft. Während dieser Zeit können mit Atombomben geladene Raketengeschosse an allen strategisch wichtigen Punkten gehortet werden; am Schluß werden sie alle gleichzeitig mit so verheerender Wirkung abgeschossen, daß eine Wiedervergeltung unmöglich gemacht ist.
    Dann ist es Zeit, mit der übriggebliebenen Weltmacht in Vorbereitung eines neuen Angriffs einen Freundschaftspakt zu schließen. Dieses Schema ist, wie kaum gesagt zu werden braucht, ein unmöglich zu verwirklichender Wunschtraum. Außerdem kommt es nie zu Kampfhandlungen, außer in den um den Äquator und den Pol gelegenen umstrittenen Gebieten: nie wird ein Einfall in feindliches Gebiet unternommen. Das erklärt die Tatsache, daß an manchen Stellen die Grenzen zwischen den Super-Staaten willkürlich gezogen sind. Eurasien zum Beispiel könnte leicht die Britischen Inseln, die geographisch einen Bestandteil Europas bilden, erobern. Oder andererseits wäre es für Ozeanien möglich, seine Grenzen bis zum Rhein oder sogar bis zur Weichsel vorzuschieben. Das aber würde das von allen Seiten eingehaltene, wenn auch nie formulierte Prinzip der kulturellen Unantastbarkeit verletzen. Wenn Ozeanien die einstmals als Frankreich und Deutschland bekannten Gebiete eroberte, würde es notwendig werden, entweder die Bewohner auszutilgen – eine praktisch sehr schwierig durchführbare Aufgabe – oder eine Bevölkerung von rund hundert Millionen Menschen zu assimilieren, die, was die technische Entwicklung anbetrifft, ungefähr auf der Stufe von Ozeanien stehen. Das Problem ist für alle drei Superstaaten das gleiche. Es ist für ihre Struktur unbedingt erforderlich, daß kein Kontakt mit Ausländern stattfindet, ausgenommen in beschränktem Maße mit Kriegsgefangenen und farbigen Sklaven. Sogar dem jeweiligen offiziellen Verbündeten wird immer mit dem schwärzesten Verdacht begegnet. Abgesehen von Kriegsgefangenen bekommt der Durchschnittsbürger von Ozeanien nie einen Bewohner Eurasiens oder Ostasiens zu Gesicht, und die Kenntnis fremder Sprachen ist ihm verboten. Wäre es ihm erlaubt, mit Ausländern in Berührung zu kommen, so würde er entdecken, daß sie ganz ähnliche Menschen sind wie er selber und daß das meiste, was man ihm von ihnen erzählt hat, erlogen ist. Die künstlichen Schranken der Welt, in der er lebt, würden fallen, und die Furcht, der Haß und die Selbstgerechtigkeit, von denen seine Moral abhängt, könnten sich

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