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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Gestein ist voll von den Knochen ausgestorbener Tiere – Mammute und urzeitliche Elefantengattungen und riesige Reptilien, die hier lebten, lange bevor man etwas vom Menschen hörte.«
    »Haben Sie je diese Knochen gesehen, Winston? Natürlich nicht. Die Biologen des neunzehnten Jahrhunderts haben sie erfunden. Vor dem Menschen gab es nichts. Nach dem Menschen, wenn er erlöschen könnte, gäbe es nichts. Außer dem Menschen gibt es nichts.«
    »Aber das ganze Weltall ist unerreichbar für uns. Sehen Sie die Sterne an! Einige von ihnen sind eine Million Lichtjahre entfernt. Sie sind für ewig außerhalb unserer Reichweite.«
    »Was bedeuten schon die Sterne?« sagte O'Brien gleichgültig. »Sie sind ein paar Kilometer entfernte kleine Feuerherde. Wir könnten sie erreichen, wenn wir wollten. Oder wir könnten sie auslöschen. Die Erde ist der Mittelpunkt des Weltalls. Die Sonne und die Sterne drehen sich um sie.«
    Winston machte erneut eine krampfhafte Bewegung. Diesmal sagte er nichts. O'Brien fuhr fort, als beantworte er einen ausgesprochenen Einwand:
    »Zu gewissen Zwecken hat das natürlich keine Gültigkeit. Wenn wir das Meer befahren oder wenn wir eine Sonnenfinsternis voraussagen, finden wir es oft bequem anzunehmen, die Erde drehe sich um die Sonne und die Sterne seien Millionen und aber Millionen von Kilometern entfernt. Aber was schadet das?
    Halten Sie uns nicht für fähig, ein doppeltes astronomisches System hervorzubringen? Die Sterne können nah oder fern sein, je nachdem wir es brauchen. Glauben Sie, unsere Mathematiker seien dem nicht 120
    George Orwell – 1984
    gewachsen? Haben Sie Zwiedenken vergessen?«
    Winston sank auf das Streckbett zurück. Was auch immer er sagte, die rasche Antwort knüppelte ihn nieder. Und doch wußte er, wußte , daß er recht hatte. Sicherlich mußte es einen Weg geben, um aufzuzeigen, daß der Glaube, es gebe nichts außerhalb unserer Vorstellung, falsch war? War er nicht vor langer Zeit als Irrtum entlarvt worden? Es gab sogar eine Bezeichnung dafür, die er vergessen hatte. Ein Lächeln zuckte um O'Briens Mundwinkel, als er auf ihn hinunterblickte.
    »Ich sagte Ihnen schon, Winston«, sagte er, »daß die Metaphysik nicht Ihre Stärke ist. Das Wort, das Sie suchen, heißt Solipsismus. Aber Sie irren sich. Hier handelt es sich nicht um Solipsismus. Kollektiven Solipsismus, wenn Sie wollen. Das hier ist etwas anderes: in der Tat das Gegenteil davon. Alles das ist eine Abschweifung«, fügte er in einem anderen Ton hinzu. »Die wirkliche Macht, die Macht, um die wir Tag und Nacht kämpfen müssen, ist nicht die Macht über Dinge, sondern über Menschen.« Er schwieg und nahm einen Augenblick wieder sein Gehaben eines Schulmeisters an, der einen hoffnungslosen Schüler prüft:
    »Wie versichert sich ein Mensch seiner Macht über einen anderen, Winston?«
    Winston überlegte. »Indem er ihn leiden läßt«, sagte er.
    »Ganz recht. Indem er ihn leiden läßt. Gehorsam ist nicht genug. Wie könnte man die Gewißheit haben, es sei denn, er leidet, daß er Ihrem und nicht seinem eigenen Willen gehorcht? Die Macht besteht darin, Schmerz und Demütigungen zufügen zu können. Macht heißt, einen menschlichen Geist in Stücke zu reißen und ihn nach eigenem Gutdünken wieder in neuer Form zusammenzusetzen. Fangen Sie nun an zu sehen, was für eine Art von Welt wir im Begriff sind zu schaffen? Sie ist das genaue Gegenteil der blöden, auf Freude hinzielenden Utopien, die den alten Reformatoren vorschwebten. Eine Welt der Angst, des Verrats und der Qualen, eine Welt des Tretens und Getretenwerdens, eine Welt, die nicht weniger unerbittlich, sondern immer unerbittlicher werden wird, je weiter sie sich entwickelt. Fortschritt in unserer Welt bedeutet Fortschreiten zu größerer Pein. Die alten Kulturen erhoben Anspruch darauf, auf Liebe oder Gerechtigkeit gegründet zu sein. Die unserige ist auf Haß gegründet. In unserer Welt wird es keine anderen Gefühle geben als Haß, Wut, Frohlocken und Selbstbeschämung. Alles andere werden wir vernichten – und zwar alles. Wir merzen bereits die Denkweisen aus, die noch aus der Zeit vor der Revolution stammen. Wir haben die Bande zwischen Kind und Eltern, zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mann und Frau durchschnitten. Niemand wagt es mehr, einer Gattin, einem Kind oder einem Freund zu trauen. Aber in Zukunft wird es keine Gattinnen und keine Freunde mehr geben. Die Kinder werden ihren Müttern gleich nach der Geburt weggenommen

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