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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Zimmer wurde es immer dunkler. Er drehte sich dem Lichte zu und starrte auf den gläsernen Briefbeschwerer. Das unerschöpflich Interessante daran war nicht so sehr das Stück Koralle als das Innere des Glases selbst. Es hatte eine solche Tiefe, dabei war es fast so durchsichtig wie Luft. Es war, als wäre die Oberfläche des Glases die Himmelskuppel, die eine winzige Welt mit ihrer ganzen Atmosphäre einschloß. Er hatte das Gefühl, als könnte er in sie hineintreten, ja, als lebe er in Wirklichkeit darin, zusammen mit dem Mahagonibett und dem Klapptisch, der Uhr, dem Stahlstich und dem Briefbeschwerer selbst. So glich der Briefbeschwerer dem Zimmer, in dem er sich befand, und die Koralle seinem Leben und dem Julias, das im Herzen des Kristalls gleichsam wie für die Ewigkeit im Panzer lag.
    Fünftes Kapitel
    Syme war plötzlich verschwunden. Eines Morgens fehlte er bei der Arbeit: ein paar gedankenlose Leute sprachen über sein Fortbleiben doch am nächsten Tag erwähnte ihn niemand mehr. Drei Tage später ging Winston in die Vorhalle seiner Abteilung, um auf dem Anschlagbrett etwas nachzusehen. Einer der Anschläge bestand aus einer gedruckten Liste des Schachkomitees, dem Syme angehört hatte. Sie sah fast genauso aus wie vorher – keine Zeile war durchgestrichen –, aber sie war um einen Namen kürzer geworden.
    Das genügte. Syme hatte aufgehört zu existieren oder richtiger: Er hatte nie existiert.
    Das Wetter war von einer Backofenhitze. Im Labyrinth des Ministeriums zwar behielten die fensterlosen Räume ihre automatisch geregelte Normaltemperatur bei, draußen aber versengte einem das Pflaster beinahe die Schuhsohlen, und während der Hauptverkehrsstunden war in der Untergrundbahn die Stickluft grauenhaft. Die Vorbereitungen für die Haß-Woche waren in vollem Gange, und die Belegschaften aller Ministerien machten Überstunden. Umzüge, Versammlungen, Paraden, Vorträge, Ausstellungen, Filmvorführungen, Fernsehprogramme – alles das mußte vorbereitet, Tribünen mußten erbaut, Bilder zur öffentlichen Verbrennung hergestellt, Parolen geprägt, Lieder verfaßt, Gerüchte in Umlauf gesetzt und Fotografien gefälscht werden. Julias Gruppe in der Literaturabteilung war von der Romanproduktion abgezogen worden und arbeitete mit Hochdruck an der Fertigstellung einer Serie von Greuelflugschriften.
    Winston verwandte neben seiner sonstigen Arbeit täglich viele Stunden darauf, im Archiv aufbewahrte frühere Nummern der Times nachzuprüfen und Angaben darin abzuändern und zurechtzufrisieren, die in Reden zitiert werden sollten. Spät in der Nacht, während Scharen lärmender Proles die Straßen bevölkerten, hing eine merkwürdige fieberhafte Stimmung über der Stadt. Raketenbomben krachten öfter als je zuvor, und manchmal erfolgten in weiter Ferne riesige Explosionen, die sich niemand erklären konnte und über die wilde Gerüchte im Umlauf waren.
    Das neue Lied, das zum Hauptschlager der Haß-Woche bestimmt war (es hieß schlechthin »Der Haßgesang«), war bereits fertig und wurde unablässig aus den Televisoren geschmettert. Es hatte einen wilden, kläffenden Rhythmus, der nicht eigentlich als Musik bezeichnet werden konnte, sondern nur wie Trommelschläge klang. Von Hunderten von Stimmen zum Gleichschritt marschierender Füße gebrüllt, 67
    George Orwell – 1984
    klang es wahrhaft erschreckend. Doch die Proles hatten Gefallen daran gefunden, und auf den mitternächtlichen Straßen machte es dem noch immer populären »Man sagt, die Zeit heile alles« starke Konkurrenz. Die Parsonskinder bliesen es zu allen Tag- und Nachtzeiten bis zum Auswachsen auf einem Kamm und einem Blatt Toilettenpapier. Winstons Abende waren ausgefüllter denn je. Von Parsons zusammengetrommelte Freiwilligentrupps schmückten die Straße für die Haß-Woche , nähten Fahnen, malten Plakate, richteten Fahnenstangen auf den Dächern auf und spannten unter Lebensgefahr Seile für Spruchbänder und Wimpel über die Straße. Parsons brüstete sich, allein am Victory-Block würden vierhundert Meter Fahnentuch flattern. Er war ganz in seinem Element und glücklich wie ein Fisch im Wasser. Die Hitze und die körperliche Arbeit hatten ihm einen Vorwand geliefert, des Abends wieder zur Tracht der kurzen Hose und des offenen Hemdes zurückzukehren. Er war überall gleichzeitig, zog, schob, sägte, hämmerte, legte mit Hand an und ermunterte jedermann mit kleinen Witzchen und kameradschaftlichen Ermahnungen, während aus jeder Falte seines

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