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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Körpers der scharfe Geruch eines scheinbar unerschöpflichen Schweißvorrats strömte.
    Ein neues Plakat war plötzlich in London aufgetaucht. Es hatte keinen Begleittext, sondern stellte nur die drei oder vier Meter hohe, erschreckende Gestalt eines eurasischen Soldaten dar, der mit ausdruckslosem Mongolengesicht und riesigen Stiefeln, eine Maschinenpistole im Anschlag, auf den Beschauer zumarschierte. Die Mündung des perspektivisch verkürzten Laufes schien, aus welchem Gesichtswinkel man das Plakat auch betrachtete, immer geradewegs auf den Beschauer gerichtet. Das Plakat war an jeder freien Mauer angeklebt, so daß es sogar die Bilder des Großen Bruders an Zahl übertraf. Die Proles, die gewöhnlich dem Krieg gleichgültig gegenüberstanden, wurden dadurch in einen ihrer periodischen Ausbrüche von Patriotismus versetzt. Die Raketenbomben hatten, als wollten sie hinter der allgemeinen Stimmungsmache nicht zurückstehen, mehr Menschen als sonst getötet. Eine fiel auf ein vollbesetztes Kino im Stadtteil Stephney, wobei mehrere hundert Opfer unter den Trümmern verbrannten. Die gesamte Bevölkerung der Umgegend nahm an der umständlichen, gründlich organisierten Beisetzung teil, die Stunden dauerte und eine wahre Protestkundgebung war. Eine andere Bombe fiel auf ein unbebautes Terrain, das als Spielplatz diente, und riß mehrere Dutzend Kinder in Stücke. Erneute Protestkundgebungen fanden statt, ein Bildnis Goldsteins wurde symbolisch verbrannt, viele hundert Plakate mit dem eurasischen Soldaten wurden spontan abgerissen und in die Flammen geworfen, und eine Anzahl Läden wurde in dem Tumult geplündert. Dann verbreitete sich ein Gerücht, daß Spione die Salven der Raketenbomben mit Hilfe von Radiowellen lenkten, worauf das Haus eines alten Ehepaars, das man ausländischer Abstammung verdächtigte, in Brand gesteckt wurde und die beiden in den Flammen umkamen.
    Jetzt, seit Winston einen sicheren Unterschlupf, fast ein Zuhause hatte, schien es kaum noch eine so große Unbequemlichkeit, daß sie sich nur selten und immer nur für ein paar Stunden treffen konnten.
    Wichtig war allein, daß es das Zimmer über dem Altwarenladen überhaupt gab. Zu wissen, daß es unversehrt auf sie wartete, war fast so gut, wie sich darin aufzuhalten. Das Zimmer war eine Welt für sich, ein Schlupfwinkel der Vergangenheit, in dem sich längst ausgestorbene Tiere tummeln konnten. Mr.
    Charrington, dachte Winston, war auch so ein ausgestorbenes Tier. Bevor er ins obere Stockwerk hinaufging, blieb Winston gewöhnlich stehen, um ein paar Minuten mit Mr. Charrington zu plaudern. Der alte Mann schien selten oder nie aus dem Haus zu gehen und andererseits so gut wie keine Kunden zu haben. Er führte ein gespenstisches Leben zwischen dem winzigen, dunklen Laden und einer noch winzigeren, nach dem Hof hinaus gelegenen Küche, wo er seine Mahlzeiten zubereitete und wo es unter anderem ein unglaublich altes Grammophon mit einem riesigen Schalltrichter gab. Er schien sich über die Gelegenheit zu einer Unterhaltung zu freuen. Wenn er zwischen seinen wertlosen Trödlerwaren mit seiner langen Nase, der dicken Brille und den gebeugten Schultern in seiner Samtjacke umherging, sah er eher wie ein Sammler als wie ein Händler aus. Mit einer etwas matten Leidenschaft fingerte er an diesem oder jenem Stück seines alten Krimskrams herum – einem Flaschenstöpsel aus Porzellan, dem bemalten Deckel einer zerbrochenen Schnupftabaksdose, einem unechten Medaillon mit der Haarlocke eines längst verstorbenen Kindes –, ohne Winston jemals zum Kauf, sondern nur zur Bewunderung aufzufordern. Wenn man mit ihm sprach, war es, als lausche man dem Zirpen einer ausgeleierten Spieldose. Er hatte aus den Winkeln seines Gedächtnisses noch ein paar Zeilen aus vergessenen Reimen hervorgeholt. »Mir kam nur eben der Gedanke, es könnte Sie vielleicht interessieren«, pflegte er mit einem um Verzeihung heischenden, kurzen Lachen zu sagen, wenn er eine neue Verszeile aufsagte. Aber er konnte sich nie an mehr als an ein Zeilenpaar mit einem Reim erinnern.
    Winston und Julia wußten – und in gewisser Weise verließ sie dieses Bewußtsein nie –, daß ihr Treiben hier nicht lange dauern konnte. Es gab Zeiten, in denen die über ihnen hängende Todesdrohung so greifbar schien wie das Bett, auf dem sie lagen, dann klammerten sie sich mit einer verzweifelten Sinnlichkeit aneinander, wie eine verdammte Seele nach dem letzten Strohhalm der Lust greift, wenn in fünf

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