1986 Das Gift (SM)
am Ufer beäugen eine Viertelstunde lang dieses Geisterschiff und klettern schließlich, weil der Skipper sich als Puppe entpuppt hat und wir also annehmen, daß es sich um ein Täuschungsmanöver handelt, an Bord! Und kaum haben wir das Deck betreten, da geht der Kasten hoch! Sogar an Land hätte die Bombe uns erwischen können. Wenn die Yacht gestrandet und dann explodiert wäre, hätte die Detonation den Hubschrauber vom Platz gefegt und uns dazu. Petra, die Explosion war so verheerend, daß bei etwas geringerer Entfernung keiner von uns überlebt hätte. Wir wären zersiebt, wären in tausend Fetzen zerrissen worden. Zwischen den Wrackteilen hätte da eine halbe Tonne Fleischsalat am Strand herumgelegen. Entschuldige, aber Wut macht mich immer so direkt. Also sagen wir lieber: Ragout fin. Klingt vielleicht nicht ganz so brutal.«
»Das finde ich doch. Und du bist sicher, es lag nicht an ihrer Unwissenheit?«
»Unwissenheit? Sie haben uns tage- und nächtelang ihr ganzes teuflisches Wissen vorgeführt, haben uns mit ihrer Kenntnis in Mathematik, Physik, Chemie und Strategie in Atem gehalten, uns und eine ganze Stadt. Natürlich kann es sein, daß sie aus Versehen die Uhr falsch gestellt haben oder daß es in ihren Computern einen Defekt gab, aber abgesehen davon, daß ich das nicht glaube, würde es für mich kaum einen Unterschied machen. Sie haben nun mal diese Bombe gebaut, außer den vielen, die sie auf unser Stadtgebiet verteilt haben, und schon darum hätte selbst ein technisches Versagen auch eine persönliche, eine moralische Seite. Wer eine Bombe baut, bezieht ihre tödliche Wirkung mit ein, ach was, er geht von dieser Wirkung aus! Wozu baut er sie sonst?«
Sie legte ihre Hand auf seine Hand, und er schwieg. Es begann zu tagen. Die Millionen Lichter der Stadt verblaßten im Dämmer. Im Garten kamen die Farben zum Vorschein, zögernd. Das Weiß kam zuerst. Die Vögel ließen sich hören. Manolo fegte Laub vom Schwimmbeckenrand, so als wäre das Haus voller Gäste, die sich an den Blättern stören könnten. Dabei gehörte das Fegen gar nicht zu seinen Aufgaben, aber die mozos und die muchachas waren noch nicht zurück. Paul Wieland beugte sich aus dem Sitz heraus über die Balkonbrüstung.
»Déjalo!« Laß das!
Manolo hielt inne, sah hinauf. »Aber sie haben im Radio gesagt, daß die Pläne gefunden sind, die Pläne mit den Plätzen, wo das Gift liegt, und daß sie die Fässer nun rausholen wollen und daß danach die Gäste zurückkommen können. Dann muß es hier doch ordentlich aussehen. Ich bin gleich fertig.« »Hast du denn überhaupt geschlafen?«
»Bestimmt mehr als Sie, Don Pablo.«
»Trotzdem, leg dich hin! Vielleicht mußt du heute nachmittag meine Eltern holen.«
»Bueno.«
Sie hörten Manolo nicht weggehen, denn er war barfuß. Aber die Haustür klappte.
»Ich nehme ihn wahrscheinlich mit.«
»Wen? Und wohin?«
»Manolo. Auf die Suche. Es gibt inzwischen viele Spuren. Die Soldaten haben ein Stück außerhalb der Stadt den Laster gefunden, mit dem die Täter entkommen sind. Die Spurensicherer fahren gerade hin. Das Auto hat eine Nummer, und über die muß der Besitzer festzustellen sein.«
»Und wenn die Nummer gefälscht ist? Oder der Laster gestohlen wurde?«
»Dann finden wir wenigstens Fingerabdrücke. Oder wenn unsere Leute die Fässer ausgegraben haben, läßt sich vielleicht ermitteln, wo sie hergestellt worden sind.«
»Aber erst mal mußt du ein paar Stunden schlafen, warst die ganze Nacht auf den Beinen!«
»Du hast recht. Wer müde ist, kann nicht mehr klar denken und auch nicht mehr richtig sehen.«
»Schade, daß du gerade Kaffee getrunken hast.«
»Das macht mir nichts aus. Übrigens war er sehr gut, dein Kaffee! So, wie man ihn in Deutschland zubereitet. Schon deswegen mußt du bei mir bleiben. Für immer.«
»Paul, willst du wirklich diese Leute suchen?«
»Ja.«
»Das ist doch Aufgabe der Polizei!«
»Im Prinzip schon, aber ich häng’ sowieso mit drin. Ich gehöre zu denen, die zahlen, bin im Krisenstab, hab’ den Geldboten gespielt und war an der Lagune dabei. Und möglicherweise sind die Burschen Deutsche.«
»Aber die Yacht ist weg, die Täter sind über alle Berge, Acapulco hat seinen Charme wieder! Der Alptraum ist vorbei. Laß uns doch endlich mit den gemeinsamen Ferien anfangen! Jetzt!«
Er stand auf, trat zu ihr und küßte sie. »Wahrscheinlich hältst du mich für überspannt«, sagte er dann, »oder denkst, ich nähme mich zu wichtig,
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